Loretta Chase
Narren halten!«
Olivia
streifte einen ihrer Handschuhe ab und schlug ihm damit ins Gesicht.
»Feigling«,
sagte sie.
Allgemeines
Aufkeuchen.
Sie wich
einen Schritt zurück und sondierte unauffällig die Lage: Fluchtwege, Hindernisse,
mögliche Waffen.
»Ihr
Verhalten ist unwürdig«, beschied sie. »Sie sind verachtenswert.«
»Also jetzt
...«
Ohne ein
weiteres Wort stürzte er sich auf sie. Sie schnappte sich rechter Hand eine Kaffeekanne
vom Tisch und schleuderte sie ihm an den Kopf.
Und dann
wurde es richtig aufregend.
Während des Sturms hatte Lisle in einem
Gasthof in Enfield Unterschlupf gesucht. Als er dann endlich in den Hof des
»Falcon Inn« ritt, war der Tag bereits angebrochen. Eigentlich hatte er
hektische Betriebsamkeit erwartet, da alle Reisenden zugleich würden aufbrechen
wollen. Stattdessen hatte sich eine Menschenmenge an der Tür zum Schankraum
versammelt. Alle reckten die Köpfe und versuchten zu sehen, was dort drin vor
sich ging.
Er stieg
ab, überließ es Nichols, sich um die Pferde zu kümmern, und ging gleichfalls zu
besagter Tür.
»Was ist
los?«, hörte er jemanden fragen.
»Sohn vom
Squire, mal wieder betrunken, hat sich wohl über irgendwas aufgeregt«, kam die
Antwort.
»Wär ja nix
Neues.«
»Diesmal
liest ihm aber ein rothaariges Weibsbild die Leviten.«
Lisle
drängte sich vor und hörte, wie Olivia jemanden beleidigte. Dann sah – und
hörte – er, wie sie einen offensichtlich betrunkenen jungen Mann mit ihrem
Handschuh schlug.
Weil ihm
einer der gaffenden Gäste in die Quere kam, konnte Lisle den Trunkenbold nicht
rechtzeitig überwältigen, ehe der sich auf Olivia stürzte. Doch Olivia wusste
sich zu wehren. Mit einer Kaffeekanne zog sie ihrem Angreifer eins über den
Schädel und brachte ihn zu Fall. Ein Diener mit Tablett stolperte über ihn und
stieß dabei einen
weiteren Gast um. Leute flüchteten zu den Türen, andere erklommen Tische und
Stühle, doch die meisten drängten sich näher ans Geschehen, damit ihnen auch ja
nichts entging.
Während
Lisle auf Olivia zuhielt, erblickte er Bailey. Erstaunlicherweise bewahrte die
Dienerin inmitten des Aufruhrs einen kühlen Kopf, scharte die beiden alten
Damen um sich und lotste sie hinaus auf den Hof.
Olivias
Stimme lenkte seine Aufmerksamkeit zurück zum eigentlichen Geschehen. »Sie
gereichen Ihrem gesamten Geschlecht zur Schande«, hörte er sie in einem eisigen
Tonfall sagen, den sie nur von Rathbourne gelernt haben konnte. »Und das will
wahrlich etwas heißen.«
Der
Trunkenbold lag noch immer am Boden und blinzelte benommen zu ihr auf. Jetzt
wäre es an der Zeit gewesen, den Rückzug anzutreten.
Aber nein.
Nicht bei Olivia.
»Ein
Gentleman steht für sein Tun ein und lernt daraus«, dozierte sie weiter. »Aber Sie
... Auf wehrlosen Frauen herumzuhacken! Sie sollten sich was schämen, Sie
elender Rabauke! Schade, dass hier niemand Manns genug ist, Ihnen eine
ordentliche Abreibung zu verpassen.«
»Genau!
Geben Sie’s ihm, Miss«, rief jemand aus sicherer Entfernung.
»Spielt
sich hier immer auf.«
»Niemand
traut sich an ihn ran, weil er der Sohn vom Squire ist.«
Einigen der
Männer schien es in den Fäusten zu jucken. Woran Lisle normalerweise seinen
Spaß gehabt und freudig mitgetan hätte. Es wäre ihm ein Vergnügen, diesem
aufgeblasenen Großmaul eine Tracht Prügel zu verpassen, die er so bald nicht
vergessen würde.
Aber
Schlägereien waren unberechenbar, und Olivia in einem ihrer Zornesausbrüche war
ebenso unberechenbar. Das Risiko wollte er lieber nicht eingehen. Nicht dass
sie sich noch ein Leides tat. Auf ihr Urteilsvermögen wollte er lieber nicht
vertrauen. Er tippte ihr mit dem Finger auf die Schulter. Ungehalten drehte sie
sich um – ein blau blitzender Blick hätte ihn fast niedergestreckt –, ehe sie
ihre kleine Standpauke wieder aufnahm.
Angesichts
ihres echauffierten Zustands war Lisle sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt
erkannt hatte. Und wegen ebendieses Zustands gab es nur eines zu tun. Er trat
hinter sie, legte seinen Arm über ihre rechte Schulter, quer über ihre Brust,
und fasste sie unter dem linken Arm, stieß sie mit der Hüfte an den Steiß, um
sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, schnappte sie sich und zerrte sie fort.
Sie wehrte sich mit Händen und Füßen, doch er hatte sie so fest im Griff, dass
sie wenig ausrichten konnte. Und so ließ sie sich stolpernd wegschleifen und
verwünschte ihn alldieweil. »Halt, ich bin noch nicht mit ihm fertig!
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