Loretta Chase
es, sich auf die Seite zu drehen. Was
Lisle zu sehen bekam, war ihr ziemlich egal, aber sie hatte keine Lust, dem
Nachtwächter ihr unmaskulines Hinterteil entgegenzustrecken.
»Wo ist
dein Hut?«, fragte Lisle leise.
»Keine
Ahnung.«
Vorsichtig
tastete er über ihr straff am Kopf festgestecktes Haar. »Wenigstens scheinst du
nicht zu bluten.«
»Ich bin
auf meinen Arm gefallen.«
»Wenn
nicht, hättest du dir den Schädel brechen können.«
»Mit meinem
Kopf ist alles in Ordnung«, versicherte sie ihm.
»Da kann
man geteilter Meinung sein.«
»Mein Fuß
ist das Problem. Ich kann nicht aufstehen.«
»Ich könnte
dir den Hals umdrehen«, sagte er. »Da habe ich dir extra gesagt ...«
»Mich in
deiner Nähe zu halten, ich weiß. Aber ich bin ja gar nicht weit gegangen. Ich
wollte mich nur mal kurz umschauen, bevor man uns rauswirft. Und dann ...«
»Bist du
gestolpert.«
»Es war
kein schlimmer Sturz, aber mit dem rechten Fuß kann ich nicht auftreten.
Wahrscheinlich habe ich mir den Knöchel verstaucht. Hilf mir mal hoch, ja?«
»Hast du
dir womöglich was gebrochen?«
»Glaube ich
nicht. Es ist nur der Fuß. Er will nicht so wie ich will und tut höllisch weh,
wenn ich es trotzdem versuche.«
Er
brummelte auf Arabisch vor sich hin. Wahrscheinlich gab es im Englischen keine
Verwünschungen, die seinen Gefühlen angemessen Ausdruck verliehen hätten. Dann
packte er sich ihren rechten Fuß, und sie wäre fast senkrecht in die Höhe
geschossen. Zoll um Zoll untersuchte er ihn, drehte ihn vorsichtig erst in die
eine, dann in die andere Richtung. Sie musste sich wirklich anstrengen, nicht
zu stöhnen – und sie hätte nicht sagen können, ob das am Schmerz lag oder
daran, seine Hände auf sich zu
spüren.
Von ihrem
Fuß tastete er geschwind hinauf zu ihrem Knie.
»Ich glaube
nicht, dass du dir etwas gebrochen hast«, stellte er fest.
»Das habe
ich doch eben ...«
Sie
schnappte nach Luft, als er sie aufsetzte. Noch ehe sie wieder zu Atem gekommen
war, hatte er sie unter den Achseln gepackt und hochgezogen. Sowie ihr Fuß auf
dem Boden aufsetzte, zuckte sie vor Schmerz zusammen.
»Verlagere
dein Gewicht auf den anderen Fuß«, riet er. »Du wirst dich auf mich stützen
müssen. Zum Glück haben wir es nicht weit.« Er schob seinen Arm unter ihre
Jacke und um ihren Rücken. Sein Arm, der sie so fest umfing, war kräftig und
warm. Mehr noch: Seine Hand ruhte direkt unter ihrer Brust. Was auch ihrer
Brust nicht zu entgehen schien, denn schon spannte sich die Knospe, und
Empfindungen demoralisierender Natur schossen abwärts.
Mit der
anderen Hand holte er ein paar Münzen aus seinem Rock und gab sie dem Wächter.
»Entschuldigen Sie die Umstände«, sagte er.
»Ich hoffe,
der junge Gentleman ist bald genesen«, sagte der Mann.
»Danke«,
sagte Olivia mit ihrer Jungmännerstimme.
Lisle
schwieg, während er sie durch die Tür und dann die Stufen hinunter manövrierte.
Schweigend
gingen sie durch die schmale Gasse nach High Petergate.
Lisle hielt es für klüger, nichts zu
sagen. Er traute seiner Stimme nicht.
Sie hatte
ihn zu Tode erschreckt. Viel hätte nicht gefehlt, und sie hätte sich den
Schädel zertrümmert oder das Genick gebrochen. Olivia hatte mehr Glück als
Verstand gehabt.
Auch
nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie mehr oder minder unversehrt war,
hatte er nicht aufhören können, sich Sorgen zu machen – Knochenbruch,
Splitterbruch, Gehirnerschütterung. Was alles hätte geschehen können!
Doch wie es
aussah, hatte sie sich wirklich nur den Knöchel verstaucht. Das Problem war
indes, dass er reichlich spät zu diesem Schluss gelangt war.
Erst hatte
er ihren Kopf befühlen müssen, ihren Fuß dann ihr Bein. Er hatte sie viel zu
gründlich untersucht und viel zu viel Zeit darauf verwandt.
Was sehr
unklug gewesen war. Noch unklüger war er gewesen, als er sie hochgezogen
hatte: Statt seinen Arm über ihre Jacke zu legen, hatte er sie darunter
gefasst.
Und so war
seine Hand dort nicht etwa auf eine schützende Westenschicht getroffen, sondern
er hatte nur den dünnen Stoff ihres Hemdes und den Hosenbund zu spüren
bekommen. Als sie sich aufstützte, ruhte folglich die Unterseite ihrer unzureichend
geschützten Brust auf seiner Hand. Und wie warm und weich sie sich durch den
Hemdstoff angefühlt hatte ...
Es hätte
selbst einen Heiligen versucht, so innig vereint vorwärtszukommen – ihre Brust
bewegte sich an Lisles Hand auf und ab, ihre Hüfte drückte sich an seine, als sie
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