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Loretta Chase

Loretta Chase

Titel: Loretta Chase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein verlockend beherrschter Earl
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begrüßen würde, wie es
sich für den Burgherrn gehörte.
    Stattdessen
war er dann wie aus dem Nichts aufgetaucht, genau an der Stelle, wo die
untergehende Sonne sein blondes Haar ganz vorteilhaft beschien, als er seinen Hut
gelüftet und sich verbeugt hatte. Die Sonne hatte golden glänzende Strähnen in
sein Haar gezaubert und ließ das von den Gespannen aufgewirbelte Stroh und den
Straßenstaub wie goldene Funken um ihn wirbeln.
    Es war sehr
enervierend, dass er so plötzlich aufgetaucht war, noch dazu wie mit Gold
übergossen – als wäre er eine mittelalterliche Märchengestalt. Einen kurzen
Moment lang hatte sie sich ausgemalt, wie er auf einem weißen Ross
einhergeprescht käme und mit ihr auf und davon ...
    Doch wohin?
Nach Ägypten. Natürlich. Wohin sonst? Wo er sie sogleich in den Sand plumpsen
ließe und sie vergessen würde, kaum dass sein Blick auf eine morsche, müffelnde
Mumie fiele.
    Aber so war
er eben. Er konnte nicht anders, ebenso wenig wie sie anders konnte. Und er war
ihr bester Freund.
    Und ihr
Freund, so stellte sie bei genauerer Betrachtung fest, hatte dunkle Ringe unter
den Augen. Seine Hutkrempe warf einen Schatten auf sein Gesicht, sodass es
nicht gleich auffiel, doch die Erschöpfung stand ihm deutlich ins Gesicht
geschrieben. Unglücklich sah er zudem aus. Er trug es mit Gleichmut und hielt
sich wacker, aber aus seiner Stimme hörte sie heraus und sah es seinen
Bewegungen an, dass er sehr entschlossen, doch ohne alle Leidenschaft bei der
Sache war.
    Sie sagte
indes nichts, hörte ihm nur zu, in seiner pedantischen Art, und so gelangten
sie schließlich durch das Haupttor in den von Unkraut überwucherten Burghof.
Die Schildmauern waren schadhaft und im Verfall begriffen, aber die Stallungen
beispielsweise schienen noch funktionsfähig. Alles in allem befand sich
Gorewood Castle längst nicht in so ruinösem Zustand wie die Athertons es
dargestellt hatten. Was an sich keine Überraschung war, da es a) die
Darstellung der Athertons war und b) sowohl Olivia als auch Lisle begriffen hatten,
dass die Instandsetzung der Burg nur Mittel zum Zweck sein sollte.
    Sie kamen
zu einer Treppe, die zu einer Tür in vielleicht dreißig Fuß Höhe hinaufführte.
    »So gelangt
man ins Hauptgeschoss«, sagte er. »Früher musste man eine Zugbrücke überqueren
und unter einem Fallgatter hindurch, die beide nicht mehr intakt sind. Als im
vorigen Jahrhundert größere Umbauten vorgenommen wurden, muss einer meiner
Ahnen sich gedacht haben, dass eine Freitreppe praktischer wäre. Eine weise
Entscheidung, wie ich finde. Zugbrücke und Fallgatter sind dieser Tage kaum
noch von Nutzen und sehr aufwändig zu unterhalten.«
    Obwohl
beides verschwunden war, konnte sie sich Zugbrücke und Fallgatter sehr lebhaft
vorstellen. Sie malte sich aus, wie die Burg einst ausgesehen hatte, als die
Festungsanlagen noch intakt waren und Ritter am Torhaus und auf den Türmen
Wache gehalten hatten.
    Bevor sie
den Fuß auf die erste Stufe der auch schon reichlich ramponierten Treppe setzen
konnte, berührte er kurz ihre Hand und hielt sie zurück. Wäre er der
romantische Held ihrer Vorstellung gewesen, würde er sie jetzt in seine Arme
gezogen und ihr gesagt haben, wie sehr sie ihm gefehlt hatte.
    Sehr zu
ihrem Verdruss hatte er ihr nämlich gefehlt. Wie sie sich gewünscht hatte,
Edinburgh mit ihm zusammen zu erkunden! Selbst er wäre von der Schönheit der
Stadt hingerissen gewesen. Selbst er hätte zugeben müssen, dass es ganz anders
war als London, einzigartig, fast wie eine andere Welt.
    Doch seine
behandschuhte Hand hatte kaum die ihre berührt, als er sie auch schon wieder
zurückzog, um auf eine schmale Tür zu deuten, von Unkraut zugewuchert, der
Zugang von herabgefallenem Mauerwerk versperrt.
    »Hier kommt
man zum Sockelgeschoss«, sagte er. »Im Haupthaus umfasst es drei Räume. Massive
Gewölbedecken. Im Südflügel ist ein Brunnenraum. Ich habe euch übrigens im
Südflügel einquartieren lassen, wo es etwas wärmer und sonniger ist. Die
Harpyien haben die beiden unteren Zimmer, da die Treppen ihr Tod wären.« Sie
sah an der Fassade des Turmhauses hinauf, das sich, wenn man so dicht davor
stand, hoch bis in den Himmel zu recken schien. Innen würde es schmale, steile
Wendeltreppen geben. Und stockdunkel sein. Was einst durchaus seinen Sinn
gehabt hatte: Jeder Feind, der es durch die äußere Befestigung geschafft hatte,
könnte sich auch im Innern der Burg jederzeit mit Leichtigkeit das Genick
brechen.

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