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Loretta Chase

Loretta Chase

Titel: Loretta Chase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein verlockend beherrschter Earl
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Vorderdeck eines Schlachtschiffs,
von dem Federn und Bänder in alle Richtungen sprossen. Dazu der übliche
modische Aberwitz des Schneiderhandwerks: Kleiderärmel so weit wie Weinfässer
und aufgebauschte Röcke, die ihre Taille so schmal erscheinen ließen, dass ein
Mann sie mit einer Hand umfangen zu können glaubte.
    Erscheinen.
Glauben . Das waren
keine Fakten. Er schweifte ins Reich der Fantasie ab, was es zu vermeiden galt.
    Um nicht
weiter auf dumme Gedanken zu kommen, musste er etwas Unverfängliches tun. Mit
schwungvoller Bewegung lüftete er seinen Hut und verbeugte sich. »Willkommen
auf der Burg des Grauens«, sagte er. »Ich hoffe, sie entspricht hinsichtlich
ihres Zerfalls und ihrer düsteren Hässlichkeit ganz deinen Erwartungen.«
    »Sie ist
wunderbar«, sagte sie. »Viel besser, als ich sie mir erhofft hatte.«
    Sie schien
allen Ernstes begeistert. Da, ganz deutlich sah er es, wie ihre Wangen sich
leicht röteten und ihre Augen vor Aufregung glänzten.
    Früher, als
sie noch Kinder waren, wäre sie zu ihm gerannt und ihm vor Freude um den Hals
gefallen. »Was bin ich froh, dass ich mitgekommen bin!«, hätte sie gerufen. Er
empfand einen Moment des Bedauerns, ein leises Gefühl des Verlustes – aber man
konnte schließlich nicht ewig Kind bleiben, und eigentlich wollte man das ja
auch gar nicht.
    Entschieden
setzte er den Hut wieder auf und wandte sich der Burg des Grauens und den
Fakten zu.
    »Als
Turmhügelburg erbaut«, begann er zu dozieren. »Hufeisenförmiger Grundriss. Das
Hauptgebäude dreigeschossig mit Kellergewölbe. Die beiden Flügel gehen von der
Westseite des Haupthauses ab, ebenfalls dreigeschossig mit durchgehender
Unterkellerung. Die Gesamthöhe beträgt vom Sockelgeschoss bis zu den Turmzinnen
einhundertsechs Fuß, die Mauern sind durchschnittlich fünfzehn Fuß dick. Ein zugegebenermaßen
eher ungewöhnlicher Gebäudetypus, der auch Motte genannt wird, und noch
ungewöhnlicher ist, dass Gorewood Castle so viele Jahrhunderte relativ
unbeschadet überdauert hat.«
    »Vielen
Dank für den kleinen Kurs in Burgenkunde«, meinte sie mit einem leisen
Kopfschütteln, dass die roten Locken ihr nur so ums Gesicht hüpften. »Du wirst
dich nie ändern, oder? Ich meinte, die Atmosphäre ist wunderbar. So
düster und unheimlich. Und das Licht, speziell zu dieser Tageszeit – wie die untergehende
Sonne durch die Wolken bricht und lange Schatten über die Landschaft zieht, als
wolle Gorewood Castle seine langen dunklen Finger bis hinab ins Tal
ausstrecken.« Während sie sprach, flog ein Schwarm Krähen krächzend vom
Nordturm auf. »Und da sind auch schon die Geister der Finsternis.«
    »Das
Atmosphärische überlasse ich dir«, sagte er. »Ich hatte für heute genug
Atmosphäre. Den ganzen Tag nichts als Regen.« Ein kurzer, dunkler Regentag nach
dem anderen, unterbrochen nur von langen, dunklen, verregneten Nächten. Und
alldieweil hatte er sich gefragt, was er verbrochen habe, um hierher verbannt
zu werden. Wenn nur jemand da wäre, mit dem er reden könnte – und dabei hatte
er nicht an sie gedacht, sondern an jemanden, der vernünftig war.
Doch nun war sie da, strahlend wie ein ägyptischer Morgen, und traktierte sein
Herz in schmerzlicher und zugleich erhebender Weise.
    »Die
Atmosphäre ist perfekt«, schloss sie. »Das passende Szenario für eine
Schauergeschichte wie Frankenstein oder Der Mönch .«
    »Wenn du
das unter Perfektion verstehst, wird dich das Innere der Burg in Entzücken
versetzen«, meinte er. »Es ist feucht, düster und kalt. Einige der Fenster sind
kaputt, durch das morsche Mauerwerk pfeift der Wind, weshalb es aus allen Ecken
ganz schauerlich pfeift und heult.«
    Sie trat
näher und schaute ihn unter der Krempe ihres Hutungetüms hervor an. »Ich kann
es kaum erwarten«, sagte sie. »Zeig es mir – jetzt gleich, wo es noch hell
ist.«
    Olivia war hingerissen, das wohl. Doch war
ihr nicht entgangen, in welch marodem Zustand sich beispielsweise das Burgtor
befand, als ihr Tross aus Karren, Kutschen und Fuhrwerken darunter
hindurchgefahren war. Eigentlich hätte sie Lisle dort erwartet. Sie hatte sich
ausgemalt, wie er schon eine ganze Weile neben dem ebenfalls ziemlich maroden,
doch gerade dadurch pittoresken Torhaus gestanden und ungeduldig nach ihr
Ausschau gehalten hätte. Wenn er sie dann gesichtet hätte, wäre er ihr
entgegengelaufen und ... nun ja, er hätte wohl kaum die Arme ausgebreitet. Aber
sie hatte zumindest erwartet, dass er sie am Torhaus

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