Loretta Chase
»Betrachten wir die Sache doch mal ganz logisch. Selbst Männer von
minderer Intelligenz würden sich nicht ohne Grund so viel Mühe machen.«
»Genau«,
pflichtete sie ihm bei. »Wahrscheinlich suchen sie schon seit Jahren danach –
seit dieser Spuk auf Gorewood Castle begonnen hat. Es muss also etwas
dahinterstecken.«
»Wenn wir
wüssten, was, wüssten wir auch, was zu tun wäre«, sagte er. »Vielleicht findet
sich ja etwas in Cousin Fredericks Unterlagen. Vielleicht hat er irgendwann
einmal eine Bemerkung fallen lassen. Das ganze Theater fing an, als er Gorewood
Castle verlassen hat und nach Edinburgh gezogen ist.«
So langsam
begann es ihm geradezu Spaß zu machen, sie auf eine falsche Fährte zu locken,
ohne ihr im eigentlichen Sinne Lügen aufzutischen.
»Doch,
doch«, fuhr er bedächtig fort. »Das klingt in der Tat interessant. Nur leider
habe ich keine Zeit, seine Papiere und Bücher durchzusehen und Leute zu
befragen, die ihm nahestanden. Ich habe alle Hände voll zu tun, dieser Ruine zu
'altem Glanz zu verhelfen', um meine unberechenbaren Eltern zu besänftigen.«
Als er ihre
enttäuschte Miene sah, schämte er sich fast. Schlimmer noch: Jener Teil von
ihm, der nicht ganz bei Verstand war – und den sie stets auf den Plan rief –,
wollte alles stehen und liegen lassen und sich auf der Stelle an die Lösung des
Rätsels machen. Dieser unvernünftige Teil von ihm lechzte geradezu danach, mit
ihr auf Schatzsuche zu gehen, so wie früher. Oh, welche Versuchung! Mit leiser
Wehmut dachte er daran, wie aufregend es gewesen war, mit Olivia alle Regeln zu
brechen und sich nur mit ihrer Schlauheit gewappnet durchzuschlagen.
Er merkte,
wie sein Widerstand brach. Er wusste, dass er dagegen angehen sollte, doch der
unvernünftige Teil von ihm wollte das gar nicht.
Und dann sagte
sie plötzlich: »Du hast recht«, und strahlte ihn an. »Schatz hin, Schatz her,
die Instandsetzung der Burg geht vor. Ich hatte dir versprochen, dass du im
Frühling wieder in Ägypten wärst, was heißt, dass wir keine Zeit zu erübrigen
haben. Ich werde das Rätsel lösen. Nun, da Herrick sich so vorbildlich
um den Haushalt kümmert, bleibt mir kaum noch etwas zu tun – und ich könnte mir
vorstellen, dass es den alten Damen eine Freude wäre, die Freunde deines
Cousins auszuhorchen.« Sie trat näher und gab ihm einen Klaps auf die Brust.
»Sei unbesorgt«, sagte sie. »Dein treuer Knappe Sir Olivia wird sich um alles
kümmern.«
Wenn ich
groß bin, will ich Ritter werden ,
hatte sie ihn an jenem Tag wissen lassen, da sie einander das erste Mal
begegnet waren. Ich wäre Sir Olivia, der tapferste aller Ritter, und würde
mich mit noblen Ansinnen auf gefahrvolle Missionen begeben, edle Taten
vollbringen und Unrecht wiedergutmachen.
Und schon
eilte sie davon, und er stand da und schaute ihr nach, bis sie verschwunden und
das Rascheln ihrer Kleider verklungen war.
Dann wandte
er sich wieder der Wand zu.
PAST BLOS AUF!
Natürlich
glaubte er nicht an schlechte Omen und böse Vorzeichen. Er gab auch nichts auf
zweifelhafte Warnungen von Dummköpfen, die des Schreibens kaum mächtig waren.
Kopfschüttelnd
wandte er sich ab und ging wieder nach oben.
Getreu seinem Vorsatz war Herrick am
Mittwoch nach Edinburgh geritten. Am Donnerstag hatten sie eine Haushälterin,
Mrs Gow. Am Freitag hatten Herrick und Mrs Gow eine vollständige schottische
Dienerschaft eingestellt, worauf Olivia ihren bisherigen Dienstboten – außer
den Kammerdienern und Zofen – erlaubte, nach London zurückzukehren.
Nur Aillier
bestand darauf zu bleiben. Alle anderen packten in Windeseile ihre Sachen und
waren am Nachmittag verschwunden.
Derweil
hatte Olivia Stunden über Frederick Dalmays Büchern, Traktaten und
Zeitschriften zugebracht. Wo immer sich eine Erwähnung von Gorewood Castle fand
– beispielsweise in einem Artikel Sir Walter Scotts zur Altertumsforschung –, hatte
Frederick ein Lesezeichen eingesteckt und mit spitzem Bleistift Anmerkungen an
den Rand geschrieben, die allerdings kaum zu entziffern waren.
Aber in den
gedruckten Unterlagen fand sich einstweilen genügend Material, so auch
sämtliche Legenden von Geistern und Dämonen. Sie erfuhr, dass die Vorliebe für
bestimmte Geister sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hatte. Außerdem
bekam sie allerhand über wunderliche Begebenheiten bei Banketten zu lesen und
stolperte immer wieder über nur schwer verständliche rechtliche Verfügungen.
Frederick hatte alles aufbewahrt, hatte
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