Loretta Chase
endlich richtig anpacken. Es war eine gewaltige
Aufgabe, die ihn vollauf beschäftigen und ihm keine Zeit für dumme Gedanken
lassen würde. Er warf einen kurzen Blick über den Tisch, wo das Problem saß,
dessentwegen er so sehr auf Betriebsamkeit bedacht war. Olivia trug ein Kleid
aus schwerer blauer Seide, bei dem Ellen von Stoff an den unmöglichsten Stellen
drapiert waren, während Schultern und der satanische Busen sich unverhüllt
präsentierten – so man von dem Saphircollier absah, das ihn aus dem Herzen der
Verderbnis verführerisch anfunkelte.
Sie erhob
sich von Tisch, um die Gesellschaft an den Kamin zu geleiten, wo man bei
Konversation und Lektüre den Tee nehmen oder sich – im Falle der Damen – einen
weiteren Whiskey genehmigen wollte, als aus den Tiefen der Erde das laute
Klagen eines Dudelsacks ertönte.
Lisle
sprang von seinem Stuhl auf. »Herrick, Nichols, mir nach. Und ihr ...«, er
scheuchte die Diener auf, die sich diskret an der Wand reihten, »... die Treppe
des Südturms
hinunter.«
Sie
schnappten sich Kerzen und rannten nach unten.
Wo sie vor
allem über Schutt und Geröll stolperten, als sie das große Kellergewölbe
durchsuchten. Dann hörten sie einen der Diener rufen: »Hier, Euer Lordschaft!«
Lisle sprintete los und fand den Lakaien aufgeregt auf eine der Wände deuten.
In großen, ungelenken Kohlelettern hatte jemand dort hingekritzelt: PAST BLOS
AUF! M ehr fanden sie nicht.
Die
ausgefuchsten Teufel waren abermals entkommen. Lisle schickte die Dienstboten
wieder nach oben, damit während seiner Abwesenheit nicht noch die Damen Schaden
nähmen. Dann wandte er sich wieder der wenig erbaulichen Botschaft zu und
runzelte finster die Stirn. Wenn er diese Schurken in die Finger bekam ...
Ein
wohlvertrautes Rascheln ließ ihn aufhorchen. Er drehte sich um. Olivia nahte,
eine Kerze in der Hand. Neben ihm blieb sie stehen und betrachtete die krummen
und schiefen Buchstaben.
»Ich muss
gestehen, dass es mich ein wenig beunruhigt, wie sie hier herumschleichen,
während der ganze Haushalt auf den Beinen ist«, sagte sie. »Das ist ganz schön
dreist.«
»Oder
dumm«, sagte er. »Dummdreist.«
»Stiefpapa
pflegt zu sagen, dass der gemeine Verbrecher oft ein Mann von minderer
Intelligenz und großer Gerissenheit ist.«
»Mir wäre
es lieber, wenn sie klug wären. Dann ließen sich ihre Gedankengänge wenigstens
nachvollziehen.«
»Andererseits:
Eigentlich sind Dudelsäcke ja harmlos«, meinte sie.
»Das ist
Ansichtssache.«
»Was mir
viel mehr Sorge bereitet, ist die gefühlte Bedrohung«, fuhr sie fort.
»Es setzt den Dienstboten zu.«
Ihm auch.
Denn ohne Dienstboten konnte ein Haushalt nicht funktionieren. Allerdings
harrten auch Dienstboten nur dann unter widrigen Umständen aus, wenn ihnen gar
keine andere Wahl blieb.
»Schade,
dass wir uns kein Heer von Rittern halten können, das uns vor Angreifern
bewahrt«, meinte er. »So wie in der guten alten Zeit.«
»Ich glaube
nicht, dass sie uns tatsächlich angreifen werden«, sagte sie. »Das würde nur
die Behörden auf den Plan rufen. Sie scheinen eher darauf erpicht, uns von hier
zu verjagen, um ungestört nach dem Schatz suchen zu können.«
»Den
Gefallen werde ich ihnen nicht tun«, sagte er. »Was ich angefangen habe, bringe
ich auch zu Ende. Erst werde ich diese gottverdammte Ruine instand setzen, dann
kehre ich nach Ägypten zurück. Hier unten werde ich Fallen aufstellen lassen.
Sollen diese Schwachköpfe doch sehen, ob sie dann noch hereinkommen.«
»Wenn wir
den Schatz vor ihnen fänden, würden sie von allein damit aufhören«, sagte sie.
Er war
müde, und es fiel ihm nicht gerade leicht, sie anzusehen und dabei vernünftig
zu bleiben, wenn ihr Anblick ihm doch solche Pein bereitete. Und er war wütend, weil es ihm
nicht gelingen wollte, diese Gefühle zu beherrschen, die allen nur Unglück
bescheren würden. Es lag ihm schon auf der Zungenspitze, »Es gibt keinen
Schatz« zu sagen, und dass sie nicht so romantischen Unsinn reden solle – und
ihm nicht so nah kommen solle, dass er sie sogar riechen konnte.
Gerade noch
rechtzeitig meldete sich die Stimme der Vernunft.
Denk
nach .
Ein Schatz.
Es gab keinen, aber das würde sie ihm sowieso nicht glauben. Sie will einen
Schatz suchen. Warum lässt du sie dann nicht einen Schatz suchen? Dann wäre
sie beschäftigt, und wenn er die Sache schlau anging, würde sie keine
Dummheiten mehr machen und ihm nicht länger in die Quere kommen.
»Gut«,
sagte er.
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