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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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einfach, oder?«

    Ben fährt jeden Tag Fahrrad. Mit mir oder Harry. »Alle zusammen«, sagt er.
    »Das geht nicht«, sage ich.
    In der Garage zeigt er auf den Fahrradanhänger, in dem er selbst noch letzten Sommer saß. »Da kann sie rein.«
    »Da drin kann Lotta leider nicht sitzen.«
    »Bitte, bitte!«
    Ich polstere den Fahrradanhänger mit Kissen aus und lege Lotta einen aufblasbaren Nackenschutz um, wie man ihn zum Schlafen bei Flugreisen trägt. Ich schnalle sie ganz fest an. Zu viert fahren wir los. Ben ruft: »Wettrennen!«
    Lotta schreit wie am Spieß. Bei jeder kleinen Bodenwelle steigert sich das Kreischen zum Heulen. Sie kann sich nicht halten in den Kissen, die Erschütterung tut ihr weh.
    »Komm, Ben, das ist doch schön: nur wir zwei.« Wir fahren abends, wenn Harry Lotta ins Bett bringt. »Du bist schon groß, du darfst noch aufbleiben.«
    Wir fahren durch den abendlichen Stadtwald, wir zählen die Grillpartys und holen uns ein Eis, obwohl es schon dunkel wird. »Schön, oder?«
    Am nächsten Morgen sagt Ben zu Lotta: »Wenn du groß bist, nehmen wir dich mit.«

    Am Ende des Monats winke ich mit Lotta auf dem Arm Harry nach, als er ins Büro fährt. »Was habe ich dich vermisst, Lotta Schatz.« Mama ist wieder da.
    »Können wir nicht verlängern?«, habe ich eben noch zu Harry gesagt.
    »Dann müsste ich meinen Job wechseln.«
    »Tja, vielleicht ...«
    Er hat den Kopf geschüttelt und ist abgefahren.
    Die Auszeit ist vorbei. Aber ich muss es nicht alleine schaffen, ich sollte es gar nicht erst versuchen. Der Einsatz ist zu hoch, um auf Risiko zu spielen. Neue Vorsätze: den letzten Rest Stolz runterschlucken, Hilfe suchen, keine Alleingänge. Jodi, Oma, Freundinnen, Frau Girschke, der Patenonkel, der Großvater. Ich werde alle einplanen. Ich werde weiter ein bisschen arbeiten, ich werde ab und zu zum Sport gehen, ich werde viel bei Therapeuten und beim Arzt sitzen. Wie steht es in der Broschüre »Das anfallskranke Kind«: »Freizeitaktivitäten und die Berufstätigkeit der Mütter sind nicht als Luxus anzusehen, sondern als sinnvolle und nützliche Maßnahmen zur Alltagsbewältigung, die letztlich dem Wohl der gesamten Familie dienen.«
    Wenn Lotta abends aufwacht und Harry auf dem Sofa sagt: »Kannst du nicht ...?«, schaue ich kurz von meinem Buch auf und zitiere: »Freizeitaktivitäten der Mutter sind nicht als Luxus anzusehen ...«
    Harry winkt ab und steht auf. »Ich mache das nicht für mich, ich mach das nur für euch«, rufe ich ihm hinterher. »Es dient letztlich dem Wohl der ganzen Familie.«
    »Tolle Ausrede«, ruft er lachend von der Treppe.
    »Ja, oder?« Als Harry wieder runterkommt, sage ich: »Beim nächsten Mal gehe ich.«
    »Morgen früh gehe ich joggen.«
    Ich blättere um. »Willst du nicht lieber mal ausschlafen?«
    Ich sehe immer noch Claras erhobene Augenbrauen vor mir: »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass der nur joggen geht?«
    Wenn Harry die Stadt verlässt, verteile ich Nachtdienste an meine Nachbarn. Sie alle haben das Blaulicht flackern sehen. Frau Girschke hat von uns nach ihrem Rettungseinsatz einen Strauß Rosen bekommen, den sie nicht annehmen wollte. »Ich freu mich doch, wenn mich mal einer braucht.«
    »Kann sein, dass ich heute Nacht bei Ihnen anrufe ...«
    »Ich lege das Telefon neben mein Bett.«
    Danke, Bullerbü.

18

»Wussten Sie das nicht vorher?«
Prognosen, pränatale Tests und nachträgliche Zweifel
    Ich finde die richtige Sportart für Lotta: Fußball. Frau Kniep setzt sie in einen Haufen Kissen, aufrecht, abgestützt, die Füße auf dem Boden. Wir rollen einen Ball vor sie, sodass ihre Zehen den Ball berühren. Langsam winkelt sie ein Bein an und streckt es wieder durch. Mit einer ruckartigen Bewegung stupst sie den Ball weg. »Tor!«, ruft Ben, der danebensteht. »Lotta vor, noch ein Tor!« Ich kaufe einen weichen Fußball für Lotta. »Guck mal, der ist schwarz-weiß«, sagt Ben und schwenkt ihn vor ihren Augen hin und her. »Den kannst du sehen, Lotta!«
    Lotta will stehen. Wenn ich sie auf dem Arm halte, macht sie sich steif wie ein Stock und streckt den Kopf hoch in die Luft. Frau Kniep stellt sie an einen Gymnastikball. Dort steht sie wie andere an einer Bar, mit den Unterarmen aufgestützt, den Kopf in die Höhe gereckt. Sie steht und steht und steht und lächelt.
    Wir kaufen einen quietschgelben Gymnastikball, geformt wie eine riesige Erdnuss. Er liegt in unserem Wohnzimmer wie ein Kunstobjekt. Lotta steht daran, dicke Grübchen im

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