Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Titel: Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
Vom Netzwerk:
nicht gewohnt: »Bist du das Mädchen, das meinen Bruder sprechen wollte?« fragte sie.
    »Ja, Fräulein!« Corrie May erhob sich ungeschickt. »Miß Ann, wenn ich Sie und die kleine Dame hier stören sollte, kann ich auch vor der Hintertür warten.«
    »Durchaus nicht!« sagte Ann. »Bleibe nur hier. Hast du Mr. Larne schon gesprochen?«
    »Ja, Madame. Ich hab' mit ihm geredet. Er schreibt mir den Zettel aus.«
    »Was für einen Zettel?« fragte Cynthia.
    »Wegen meiner Brüder. Sie haben Fieber bekommen beim Zypressenroden und sind gestorben.«
    »Gestorben? Wie schrecklich!« sagte Ann mitleidig. »Das tut mir aber leid!«
    »Ja, Madame! Besten Dank für Ihr Beileid, Madame!« sagte Corrie May.
    Der Neger mit dem Tablett erschien von neuem in der Halle: »Miß Ann, die gnädige Frau läßt fragen, ob Sie ein Glas Sherry mögen?«
    »Danke, ja!« Ann nahm eins der vollen Gläser vom Tablett. »Und gieße dieser Dame auch ein Glas ein, Napoleon!« Corrie May zuckte vor Überraschung zusammen, aber der Diener tat, wie ihm geheißen – auch er schien sich respektvoll zu verwundern.
    Ann reichte ihr das Glas: »Bitte! Du bist sicher erschöpft nach dem langen Marsch durch die heiße Sonne. Bist du tatsächlich zu Fuß hergekommen?«
    »Nein, Madame. Mein Verehrer besitzt Wagen und Maultier. Er hat mich hergebracht.« Corrie May setzte sich nieder; vorsichtig hielt sie das Glas. Sie gab sich Mühe, so zierlich zu schlürfen wie Ann, um nichts danebenzutropfen.
    »Fräulein Ann«, wisperte Cynthia, »darf ich einmal schmecken?«
    »Ach, Liebling, ich traue mich nicht. Deine Mutter denkt sicherlich schrecklich streng darüber?«
    »Ja, Fräulein Ann, sie ist sehr streng. Aber mein Bruder Denis läßt mich manchmal kosten.«
    »Bruder Denis darf sich viel in diesem Haus erlauben, mein Herz, was mir verboten ist. Aber ich bringe es nicht fertig, dir den Schluck abzuschlagen. Er wird dir nichts schaden. Hier!« Sie trat einen Schritt zur Seite, so daß ihr weiter Reifrock sich zwischen die Tür und Cynthia schob. »Diese Reifröcke sind im Himmel erfunden!« flüsterte sie über Cynthias Kopf hinweg Corrie May zu, wie wenn sie als Erwachsene ein Komplott miteinander schmieden müßten. Corrie May hätte für ihr Leben gern gewußt, wie man sich fühlen mochte, wenn man einen Reifrock trug. Doch das war ihr noch nie vergönnt gewesen. Das Gestell allein kostete fünf oder sechs Dollar, und dann brauchte man viele, viele Ellen Stoff, es zu umkleiden. Arme Leute konnten sich Röcke mit einem Umfang von fünfzehn oder zwanzig Ellen nicht leisten. Cynthia nippte heimlich an dem Glas, das Ann ihr angeboten hatte. Sie wollte es zurückgeben. »Schmeckt es dir?« fragte Ann. Cynthia nickte eifrig.
    »Du kannst das Glas austrinken, darfst mich aber deiner Mutter nicht verraten.«
    »Dann bleibt ja nichts für Sie übrig!«
    »Ich kann mir das Glas wieder füllen lassen!«
    »Das ist lieb von Ihnen!« sagte Cynthia und schlürfte den Rest mit so hingerissenem Behagen, daß Corrie May ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. Auch Ann lachte, als sie Corrie Mays Blick auffing. »Bin ich dir nicht schon irgendwo begegnet?« fragte sie.
    »Ja, Madame! Ungefähr vor einem Monat. Sie fütterten die Schwäne im Park und schenkten mir Kuchen.«
    »Ach ja, natürlich. Ich erinnere mich!« Ann biß sich auf die Lippe, als ihr die Zusammenhänge einfielen: »Wie war es doch – ich erzählte dir, daß Arbeiter eingestellt wurden, Zypressen zu roden, nicht wahr?«
    »Sie dürfen sich nicht grämen«, antwortete Corrie May respektvoll. »Sie wollten mir ja einen Gefallen tun.«
    »Doch es tut mir schrecklich leid«, rief Ann. »Kann ich dir nicht irgendwie helfen?«
    »Nein, Madame, vielen Dank, Madame! Mr. Larne macht das schon!«
    »Nun, wenn es dir irgendwann einmal schlechtgeht, dann wende dich nur an mich, hörst du?«
    »Miß Ann«, bettelte Cynthia, »komm doch, bitte, und sieh dir mein Pony an!«
    Mit einem letzten bedauernden Blick auf Corrie May gab Ann Sheramy nach: »Ich komme, Liebling! Aber setze das Glas nicht auf den Stuhl; es hinterläßt einen Ring. Stelle es auf den kleinen Tisch mit der Decke!«
    Corrie May hörte ihre Stimmen auf der hinteren Galerie verklingen. Inzwischen war eine andere Kutsche vorgefahren und hatte aus ihrem geräumigen Inneren eine Anzahl junger Damen und Herren entlassen. Sie hörte, wie Mrs. Larne ihren Sohn Denis entschuldigte: er würde in wenigen Augenblicken erscheinen. Corrie May fühlte sich

Weitere Kostenlose Bücher