Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
fragte, wie sie das jemals hatte vergessen können. Ah, sie hatte so vieles vergessen! Auch darin war sie ein echter Champ.
    Keine Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen, Lisey – Zeit, heimzukehren.
    Alles raus aus dem Pool!, wie man so schön sagte. Lisey hatte gekriegt, wozu sie hergekommen war; sie hatte es ge kriegt, während sie in der letzten grausigen Erinnerung an den Long Boy gefangen gewesen war. Ihre Brust tat noch weh, aber das schmerzhafte Pochen war einem dumpfen Druckschmerz gewichen. Als Teenager hatte sie manchmal schlimmere Schmerzen gehabt, wenn sie an einem langen heißen Tag einen zu kleinen BH getragen hatte. Von der Stel le aus, an der sie bis zum Kinn im Wasser kniete, konnte sie sehen, dass der Mond – jetzt kleiner und fast ganz und gar silbern – beinah auf gleicher Höhe mit den größten Friedhofs-bäumen stand. Und jetzt stieg eine neue Angst in ihr auf: Was, wenn der Long Boy zurückkam? Was, wenn er sie dar an denken hörte und zurückkam? Dieser Ort war angeblich sicher, und Lisey glaubte daran – zumindest sicher vor den Lachern und sonstigen im Märchenwald hausenden Unge heuern –, aber sie stellte sich vor, dass der Long Boy vielleicht nicht an die Regeln gebunden war, die andere Wesen von hier fernhielten. Sie ahnte, dass der Long Boy … anders war. Der Titel einer alten Horrorgeschichte fiel ihr ein, dröhnte in ihrem Kopf wie eine eiserne Glocke: »Oh Whistle, and I'll Come to You My Lad«. Pfeif nur, dann komme ich zu dir, mein Junge. Darauf folgte der Titel des einzigen von Scotts Bü chern, das sie immer gehasst hatte: Empty Devils.
    Aber bevor sie zum Strand zurückgehen, auch nur im Wasser aufstehen konnte, drängte sich Lisey eine weitere Erinne rung auf, die viel frischer war. Diese Erinnerung handelte davon, dass sie kurz vor Tagesanbruch im Bett ihrer Schwester Amanda aufgewacht war und festgestellt hatte, dass Vergangenheit und Gegenwart sich fast untrennbar vermischt hatten. Noch schlimmer: Lisey hatte geglaubt, sie wäre nicht mit ihrer Schwester, sondern mit ihrem toten Ehemann im Bett. Und das hatte in gewisser Weise sogar gestimmt. Denn obwohl das Wesen neben ihr Mandas Nachthemd getragen und mit Mandas Stimme gesprochen hatte, hatte es die geheime Sprache ihrer Ehe benutzt und Ausdrücke gebraucht, die nur Scott kannte.
    Dir steht ein Blut-Bool bevor, hatte das Wesen ihr mitge teilt, und schon war der Schwarze Fürst der Inkunks mit ih rem eigenen Oxo-Büchsenöffner in seiner hässlichen Tasche voller Tricks vorbeigekommen.
    Es geht über den Purpur hinaus. Die drei ersten Stationen hast du bereits gefunden. Noch ein paar mehr, dann kriegst du deine Belohnung.
    Und welche Belohnung hatte das Wesen im Bett neben Lisey ihr versprochen? Ein Getränk. Sie hatte auf Coke oder RC -Cola getippt, weil das Pauls Belohnungen gewesen waren, aber jetzt wusste sie es besser.
    Lisey senkte den Kopf, tauchte ihr zerschlagenes Gesicht in den Pool und nahm dann zwei rasche Schlucke, ohne sich zu gestatten, darüber nachzudenken, was sie tat. Das Wasser, in dem sie stand, war fast heiß, aber diese Schlucke waren kühl und wohlschmeckend und erfrischend. Sie hätte noch viel mehr trinken können, aber irgendeine Intuition veranlasste sie dazu, nach dem zweiten Schluck aufzuhören. Zwei waren genau richtig. Sie berührte ihre Lippen und stellte fest, dass die Schwellung fast abgeklungen war. Das überraschte sie nicht.
    Ohne zu versuchen, leise zu sein (und ohne sich die Mühe zu machen, Dankbarkeit zu empfinden, zumindest noch nicht), lief Lisey mit rudernden Armbewegungen zurück zum Strand. Das schien endlos lange zu dauern. Im Augenblick watete niemand in Ufernähe, und der Strand war menschenleer. Lisey meinte, die Frau, mit der sie gesprochen hatte, zusam men mit ihrer Gefährtin auf einer der Bänke sitzen zu sehen, war sich aber nicht ganz sicher, weil der Mond noch nicht hoch genug stand. Dann hob sie leicht den Kopf und fixierte eine der verhüllten Gestalten, die in der zehnten oder zwölf ten Bankreihe über dem Strand saß. Das Mondlicht über zog eine Seite des verschleierten Hauptes dieses Wesens mit dünnem Silberglanz und vermittelte Lisey eine unerklärliche Gewissheit: Dies war Scott, und er beobachtete sie. War das nicht auf verrückte Weise logisch? War es das nicht, wenn er sich genug Bewusstsein und Willenskraft bewahrt hatte, um in den Augenblicken vor Tagesanbruch zu ihr zu kommen, während sie mit ihrer katatonischen Schwester im Bett lag? War es das

Weitere Kostenlose Bücher