Lovesong
die Mütze tief in die Stirn gezogen habe und eine Sonnenbrille trage und Bryn nicht bei mir ist. Wenn ich mit Bryn zusammen bin, dann ist es so gut wie unmöglich, dem Radar der Leute zu entkommen. Panik ergreift mich, nicht so sehr, weil ich befürchte, ich könnte fotografiert oder von einer Meute von Autogrammjägern überfallen werden – obwohl ich darauf, ehrlich gesagt, im Augenblick überhaupt keine Lust hätte –, sondern weil ich Angst habe, man könnte sich über mich lustig machen, weil ich die einzige Person im ganzen Park bin, die völlig allein ist, selbst wenn das überhaupt nicht stimmt. Trotzdem habe ich das Gefühl, gleich könnte jemand mit dem Finger auf mich zeigen und mich verspotten.
Himmel, so weit ist es also schon gekommen? Das ist es also, was ich bin? Ein wandelnder Widerspruch? Ich bin von Leuten umringt und fühle mich trotz allem allein. Ich sehne mich nach ein klein wenig Normalität, und kaum bekomme ich, was ich will, weiß ich nichts damit anzufangen, so als wüsste ich nicht mehr, wie es ist, ein normaler Mensch zu sein.
Ich spaziere in Richtung Bramble, wo ich garantiert nur Leuten über den Weg laufe, die selbst nicht gesehen werden wollen. Ich kaufe mir einen Hotdog und schlinge ihn mit wenigen Bissen hinunter. Erst in dem Moment wird mir klar, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe, weshalb ich wieder an das Mittagessen und an das Debakel mit Vanessa LeGrande denken muss.
Was war bloß los mit mir? Na ja, Reporter haben mich schon des Öfteren auf die Palme gebracht, aber das waren doch reine Anfängerfehler, denke ich im Stillen.
Ich bin einfach nur total alle, rechtfertige ich mich. Völlig überfordert. Ich denke an die Tour, und schon scheint es mir, als würde sich der moosbedeckte Boden neben mir auftun und zu flirren beginnen.
Siebenundsechzig Nächte. Ich versuche, mich zur Vernunft zu bringen. Siebenundsechzig Nächte, das ist doch gar nichts . Ich versuche, die Zahl zu dividieren, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen, nur um irgendetwas zu tun, um sie kleiner wirken zu lassen, doch die Zahl siebenundsechzig lässt sich durch nichts exakt teilen. Also probiere ich es anders. Vierzehn Länder, neununddreißig Städte, mehrere Hundert Stunden im Tourbus. Aber auch die Mathematik kann gegen das Flirren nichts bewirken; immer schneller bewegt es sich, und mir wird langsam schwindelig. Ich stütze mich an einem Baumstamm ab und lasse die Hand über die Rinde gleiten, die mich unwillkürlich an Oregon erinnert, sodass das Loch im Boden sich, zumindest für den Moment, wieder schließt.
Unwillkürlich muss ich auch daran denken, wie ich in jüngeren Jahren von unzähligen Künstlern las, die irgendwann nicht mehr konnten – Morrison, Joplin, Cobain, Hendrix. Ich fand diese Typen einfach erbärmlich. Endlich kriegen sie, wonach sie sich immer gesehnt haben, und was machen sie daraus? Sie nehmen Drogen bis zur Besinnungslosigkeit. Oder sie schießen sich die Köpfe weg. Was für ein Haufen Arschlöcher.
Na ja, und jetzt schau dich selbst an. Du bist zwar kein Junkie, aber recht viel besser bist du auch nicht.
Ich würde mich ja ändern, wenn ich könnte, doch bis jetzt hat es nicht sonderlich viel gebracht, mir selbst zu sagen, ich solle den Mund halten und die Sache endlich genießen. Wenn die Leute um mich herum wüssten, wie ich mich fühle, würden sie mich auslachen. Nein, das ist nicht wahr. Bryn würde niemals über mich lachen. Sie wäre vielmehr verblüfft angesichts meiner Unfähigkeit, stolz auf das zu sein, was ich dank harter Arbeit erreicht habe.
Aber hab ich denn tatsächlich so hart gearbeitet? Irgendwie gehen meine Familie, Bryn, der Rest der Band – zumindest war das früher so – davon aus, dass ich das alles in gewisser Weise verdient habe, dass meine Berühmtheit und der Reichtum nur der gerechte Lohn sind. Ich selbst habe nie so recht daran geglaubt. Das Karma funktioniert nicht wie eine Bank. Man kann nicht einfach einzahlen und später wieder abheben. Aber inzwischen regt sich in mir tatsächlich immer mehr der Verdacht, dass ich mit alldem für irgendwas entschädigt werde – nur dass das nichts Gutes bedeutet.
Ich greife nach meinen Zigaretten, doch die Packung ist leer. Ich stehe auf und klopfe mir den Staub von den Jeans, dann mache ich mich auf den Weg raus aus dem Park. Die Sonne beginnt sich im Westen langsam zu senken, ein grell leuchtender Ball, der sich nach und nach gen Hudson neigt und eine Collage aus
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