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Lovesong

Titel: Lovesong Kostenlos Bücher Online Lesen
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an, um mir in die Augen sehen zu können, und dieses Mal scheint sie wirklich die Bestätigung zu wollen, dass es wahr ist. Ich würde ihr ja gern versichern, dass sie recht hat, aber ich habe gänzlich die Fähigkeit verloren, zu sprechen. Allerdings scheint mein Gesichtsausdruck allein ihr das zu bestätigen, was sie vermutet. Sie nickt leicht mit dem Kopf. »Wie? Sag mir, Adam, wie ist das möglich? Woher könnte ich das wissen?«
    Ich kann nicht sagen, ob diese Frage rein rhetorisch gemeint ist oder ob sie wirklich denkt, ich könne sie von ihren metaphysischen Qualen befreien. Doch ich bin sowieso nicht fähig, ihr eine Antwort zu geben, weil ich nämlich inzwischen heule. Ich merke selbst nichts davon, bis ich das Salz auf den Lippen schmecke. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal geweint habe, aber in dem Moment, in dem ich mich der Peinlichkeit hingebe, zu schluchzen und zu heulen wie ein Baby, da öffnen sich die Schleusentore noch ein Stück weiter, und ich flenne jetzt hemmungslos, und das vor Mia. Vor der ganzen verdammten Welt, um genau zu sein.

19
    Das erste Mal, dass ich Mia Hall sah, war vor sechs Jahren. An unserer Highschool gab es diesen künstlerischen Zweig, und wenn man sich für Musik als Wahlfach entschied, dann konnte man Musikunterricht nehmen oder sich wahlweise für selbstständige Übungsstunden im schuleigenen Studio eintragen. Mia und ich haben beide die selbstständigen Übungsstunden gewählt.
    Ich hatte sie ein paarmal auf ihrem Cello spielen sehen, aber sie nie wirklich registriert. Ich meine, sie war schon süß und so, aber nicht ganz mein Typ. Sie war eine klassische Musikerin. Und ich war Rocker. Wie Hund und Katze waren wir quasi.
    Ich habe sie nicht ernsthaft bemerkt bis zu dem Tag, als ich sie einmal nicht spielen sah. Sie saß einfach nur so in einer der schallgeschützten Kabinen, hatte ihr Cello gegen ihr Knie gelehnt, und ihren Bogen hielt sie ein paar Zentimeter über den Saiten. Ihre Augen waren geschlossen, die Brauen leicht gerunzelt. Sie saß so still, dass es schon den Anschein hatte, als hätte sie sich für eine Weile aus ihrem Körper zurückgezogen, um Urlaub zu machen. Und obwohl sie absolut regungslos dasaß, obwohl ihre Augen geschlossen waren, wurde mir in dem Moment klar, dass sie irgendeiner Musik lauschte, dass sie in der Stille nach Noten griff, wie ein Eichhörnchen, das Eicheln für den Winter sammelt, ehe sie sich daranmachen würde, die Noten zu spielen. Ich stand dort, plötzlich wie gefesselt von ihr, bis sie aufzuwachen schien und mit dieser unglaublich intensiven Konzentration zu spielen begann. Als sie mich schließlich ansah, machte ich mich schnell vom Acker.
    Von da an war ich irgendwie fasziniert von ihr und von ihrer offensichtlichen Fähigkeit, Musik in der Stille zu hören. Damals wollte ich das auch gern können. Deshalb habe ich ihr immer öfter beim Spielen zugehört, und obwohl ich mir selbst einzureden versuchte, dass mein Interesse an ihr allein darauf basierte, dass sie eine derart hingebungsvolle Musikerin war, mir nicht unähnlich, war es in Wirklichkeit so, dass ich unbedingt verstehen wollte, was sie aus der Stille heraushörte.
    Die ganze Zeit, die wir zusammen waren, habe ich das, glaube ich, nie so recht begriffen. Aber als ich erst mal mit ihr zusammen war, brauchte ich das auch gar nicht mehr. Wir waren beide wie besessen von der Musik, jeder auf seine eigene Weise. Wenn wir jeweils die Besessenheit des anderen nicht ganz verstanden, so war das nicht von Bedeutung, denn immerhin verstanden wir jeder unsere eigene.
    Ich kann mich noch ganz genau an den Moment erinnern, von dem Mia da spricht. Kim und ich waren zusammen in Sarahs pinkfarbenem Dodge Dart ins Krankenhaus gefahren. Ich kann mich nicht entsinnen, wann ich Liz’ Freundin gebeten hatte, mir ihr Auto zu leihen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, den Wagen je gefahren zu haben. Weder weiß ich, wie ich das Auto hoch auf den Hügel gelenkt habe, auf dem das Krankenhaus steht, noch weiß ich, woher ich den Weg kannte. Kurze Zeit vorher war ich noch in einer Halle im Zentrum von Portland zum Soundcheck für die an diesem Abend geplante Show gewesen, als plötzlich Kim aufgetaucht war, um mir die schrecklichen Neuigkeiten mitzuteilen. Und ehe ich es mich versah, stand ich auch schon dort draußen vor dem Krankenhaus.
    Das, woran Mia sich da erinnert, war im Grunde der erste lichte Moment nach einer Phase, in der ich alles nur verschwommen

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