Lovesong
wahrnahm wie in einer Petrischale, in der Zeit zwischen dem Eintreffen der Nachricht und meiner Ankunft an der Unfallstation. Kim und ich hatten gerade den Wagen geparkt, und ich war vor ihr aus der Parkgarage rausmarschiert. Ich brauchte ein paar Sekunden, um meine Kräfte zu sammeln, um mich gegen das zu wappnen, was ich gleich sehen würde. Und ich erinnere mich, wie ich vor dem riesigen Krankenhausgebäude stand und mir vorstellte, dass Mia irgendwo da drinnen war. Und in dem Moment klopfte mir vor Panik das Herz bis zum Hals, als ich mir vorstellte, sie könnte in der Zeit, die Kim gebraucht hatte, mich zu holen, gestorben sein. Doch dann hatte mich plötzlich eine Welle erfasst, zwar keine Welle der Hoffnung, auch nicht der Erleichterung, aber irgendwie wusste ich, dass Mia noch da war. Und das hatte dafür ausgereicht, dass ich durch die Tür nach drinnen ging.
Man sagt ja immer, dass es für alles einen Grund gibt, aber ich weiß nicht, ob ich davon überzeugt bin. Ich glaube kaum, dass ich jemals einen Sinn darin sehen könnte, was Kat, Denny und Teddy an jenem Tag zugestoßen ist. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich Mia endlich sehen konnte. Die Krankenschwestern wollten mich nicht zu ihr auf die Intensivstation lassen, weshalb Kim und ich uns einen Plan ausdachten, wie wir uns doch würden reinschleichen können. Ich glaube nicht, dass mir das damals klar war, aber seltsamerweise schien ich das irgendwie hinauszögern zu wollen. Ich musste erst Kräfte sammeln. Ich wollte doch nicht vor ihren Augen zusammenbrechen. Ich schätze, ein Teil von mir wusste, dass Mia das selbst tief im Koma bemerken würde.
Natürlich bin ich dann trotz allem in ihrer Gegenwart zusammengebrochen. Als ich sie nämlich das erste Mal so sah, da hätte ich fast gekotzt. Ihre Haut wirkte bleich wie ein Taschentuch. Ihre Augen waren verbunden. Überall an ihrem Körper waren Schläuche befestigt, die diverse Flüssigkeiten und Blut in sie hineinpumpten und irgendein grässlich aussehendes Zeug aus ihr herauslaufen ließen. Ich schäme mich, es zuzugeben, aber als ich das Zimmer betrat, da wollte ich auf der Stelle wieder kehrtmachen und wegrennen.
Doch ich konnte es nicht. Ich hätte es auch nie getan. Deshalb konzentrierte ich mich auf den Teil von Mia, der ihr immer noch entfernt ähnelte – ihre Hände. An ihre Fingerkuppen waren Monitore angeschlossen, doch ihre Hände sahen immer noch so aus wie früher. Ich berührte die Fingerspitzen ihrer linken Hand, die sich abgenutzt, aber weich anfühlten wie altes Leder. Ich strich mit den Fingern über die knubbeligen Schwielen an ihrem Daumen. Ihre Hände waren eiskalt, so wie immer. Deshalb wärmte ich sie ihr, ebenfalls wie immer.
Und während ich ihre Hände so wärmte, dachte ich darüber nach, was für ein Glück es doch war, dass sie so aussahen, als wären sie in Ordnung. Denn ohne Hände gäbe es für sie keine Musik, und ohne die Musik wäre ihr wirklich nichts mehr geblieben. Ich erinnere mich noch, wie ich dachte, dass Mia sich darüber ebenfalls würde klar werden müssen. Dass man sie daran erinnern musste, dass da immer noch die Musik war, zu der sie zurückkehren konnte. Dann rannte ich aus der Intensivstation, obwohl ein Teil von mir befürchtete, ich könnte sie nie wiedersehen, solange sie noch lebte, doch irgendetwas sagte mir, dass ich diese eine Sache erledigen musste. Als ich zurückkam, spielte ich ihr ein Stück von Yo-Yo Ma vor.
Und das war auch der Moment, als ich ihr mein Versprechen gab. Das Versprechen, das sie mich hat einlösen lassen. Ich habe das Richtige getan. Das weiß ich jetzt. Ich muss es schon immer gewusst haben, doch es war schwer, das in meinem Zorn zu akzeptieren. Und es ist in Ordnung, wenn sie jetzt sauer ist. Es ist sogar in Ordnung, wenn sie mich hasst. Klar, es war egoistisch von mir, sie darum zu bitten, auch wenn es sich letzten Endes als das Beste herausstellte, was ich je in meinem Egoismus getan hatte. Etwas, das ich auch weiterhin würde tun müssen.
Doch ich würde es jederzeit wieder tun. Das immerhin ist mir jetzt klar. Ich würde ihr dieses Versprechen wieder und wieder geben und sie wieder und wieder freiwillig verlieren, nur damit sie spielen kann wie am vergangenen Abend oder damit ich sie im morgendlichen Sonnenschein sehen darf. Und auch sonst würde ich es wieder genauso machen. Allein um die Gewissheit zu haben, dass sie irgendwo dort draußen ist. Und zwar am Leben.
Mia sieht mir dabei zu, wie ich hier auf
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