Luc - Fesseln der Vergangenheit
vermute, dass Kalil die Männer mitgenommen hat. Vielleicht sind sie dann zusammen den Truppen in die Hände gefallen. Ich weiß es einfach nicht, Jasmin. Derzeit würde ich nichts ausschließen. Wieso rufst du ausgerechnet jetzt an, um dich nach ihm zu erkundigen?«
Das Misstrauen, das die Frage begleitete, verletzte sie. »Du glaubst doch nicht, dass ich etwas tun würde, das ihn in Gefahr bringt?«
»Nein, aber an Zufälle glaube ich seit langem nicht mehr.«
Kurz überlegte sie, ihn über Lucs Anwesenheit in Kunduz zu informieren, entschied sich dann aber dagegen. Auch wenn Lucs Sorge um Kalil offensichtlich war, konnte sie das Verhältnis der Männer nicht einordnen. »Er hatte mir eine eindringliche Warnung zugemailt und wir wollten in Kontakt bleiben. Als ich ihn nicht erreichen konnte, habe ich dich angerufen.«
»Dann sorge dafür, dass nicht auch du noch verschwindest, Jasmin. Pass auf dich auf.«
Sie befürchtete, dass er auflegen könnte. »Warte, Hamid. Was hast du jetzt vor?«
»Ich werde herausfinden, ob die Truppen oder Warzai hinter seinem Verschwinden stecken.«
»Dann pass auch du auf dich auf.«
Sie wechselten noch einige belanglose Worte, ehe sie sich verabschiedeten. Obwohl sie Hamid nicht angelogen hatte, fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut. Eigentlich hätte sie ihm von dem Wiedersehen mit Luc erzählen müssen. Siedend heiß durchfuhr sie ein anderer Gedanke. Kalil hatte vor seinem Bruder keine Geheimnisse, also musste Hamid wissen, dass sein Bruder in lockerer Verbindung zu dem SEAL stand und vielleicht sogar, dass Luc in Kunduz war. Wenn Hamid nun das Gefühl hatte, ihr nicht mehr trauen zu können, hatte sie nichts erreicht, aber vieles verloren. »Verdammt. Das wird ja alles immer schlimmer.«
»Und was genau meinst du damit?« Erschrocken fuhr Jasmin herum und sah Scott in der Tür stehen. »Sorry, aber der Boss fragt sich, wo du bleibst.«
Seine Worte klangen freundlich, doch auf seinem Gesicht stand ein nachdenklicher, kritischer Ausdruck. Als er die Tür hinter sich schloss, meldeten sich Jasmins Alarmglocken unüberhörbar zu Wort. »Ich habe nur darüber nachgedacht, dass es nicht ganz einfach ist, gleichzeitig Luc und Hamid gerecht zu werden. Er weiß nicht, wo sein Bruder ist, macht sich aber auch große Sorgen.«
Scott verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte sie mit ausdrucksloser Miene. »Es ist nicht neu, dass die beiden auf verschiedenen Seiten stehen. Beim letzten Mal hattest du doch auch keine Probleme, dich für einen der beiden zu entscheiden. Wieso jetzt dieser Gewissenskonflikt?«
Vor Ärger knirschte Jasmin mit den Zähnen, aber in gewisser Weise war Scotts Verhalten verständlich. Auch wenn er sich gleichgültig gab, ahnte sie, dass die Sorge um Luc der Auslöser für diese Konfrontation war. »Ich weiß nicht, was ich dir darauf antworten soll. Luc bei Hamid zurückzulassen war das Schwerste, das ich jemals getan habe, aber ich hatte keine Wahl. Außerdem, sieh dir doch die Voraussetzungen an: Wir hätten uns mit einer Pistole und einem Gewehr niemals gegen das ganze Dorf durchsetzen können, und außerdem betrachte ich viele dort als Freunde. Ich musste darauf vertrauen, dass ich mit meiner Einschätzung von Hamid nicht falschlag. Und noch etwas.« Sie hatte sich so in Rage geredet, dass sie Scott den Zeigefinger gegen die Brust stieß. »Ich verstehe es, wenn du mir nicht traust, aber respektiere gefälligst Lucs Entscheidung. Er und Hamid waren sich absolut einig, dass ich fahren sollte, und ich war so dämlich, ihnen das zu versprechen. Verstanden?«
»Laut und deutlich.«
Ein Muskel an Scotts Wange zuckte, seine Gesichtszüge waren jedoch weiterhin nicht zu interpretieren. Er wäre ein höllischer Gegner bei jedem Pokerspiel. Unerwartet lächelte er. »Vergiss die Speicherkarte nicht und noch was: Ich könnte gleich deine Hilfe gebrauchen. Ich hätte eine Idee, wie wir an Meltons Männer rankommen können, aber leider hat Luc mir eben fast den Kopf abgerissen, weil ich dich dafür als Köder benutzen will.«
»Soll das so eine Art Wiedergutmachung sein, weil ich ihn deiner Meinung nach im Stich gelassen habe?«
»Nein, das Thema ist abschließend geklärt. Hörst du dir wenigstens an, was ich vorhabe?«
»Natürlich, außerdem verstehe ich dich. Ich kann mir vorstellen, wie nahe ihr euch steht.« Scott hob eine Augenbraue und Jasmin verstand die stumme Aufforderung, weiterzusprechen. »Luc hat sich bei Hamid mehr darum gesorgt,
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