Luc - Fesseln der Vergangenheit
runzelte die Stirn.
»Das ist eine Überraschung. Woher haben Sie die Nummer?«
Die Antwort gefiel Melton nicht.
»Ihnen sollte klar sein, dass ich die Regeln festlege. Wenn Sie Ihre kleine Freundin wiedersehen wollen, sollten Sie an Ihrem Ton arbeiten.«
Luc! Jasmin machte unwillkürlich einen Schritt auf Melton zu, wurde aber an der Schulter zurückgerissen. Den Wachposten hatte sie völlig vergessen, aber die Art, wie Melton erschrocken vor ihr zurückzuckte, verschaffte ihr eine grimmige Befriedigung. Der Mistkerl war ein typischer Schreibtischtäter und hatte eindeutig Angst vor jedem Anzeichen von körperlicher Gewalt.
Meltons Unmut vergrößerte sich von Sekunde zu Sekunde. Schließlich hielt er Jasmin das Handy hin. »Überzeugen Sie Ihren Freund, dass Sie am Leben sind. Aber ein falsches Wort und das war’s.«
Jasmin nahm das Telefon und schnaubte verächtlich. »Und was sollte ich ihm sagen? Dass Sie ein Scheißkerl sind, weiß er selbst.« Sie umklammerte das Telefon so fest, dass ihre Hand schmerzte. »Luc? Lass dich auf nichts ein. Er will dich … «
Sie hätte sonst was dafür gegeben, seine Stimme zu hören, aber Melton entriss ihr das Handy.
»Sie sollten nicht auf Sie hören, denn Sie wissen selbst am besten, was Warzai mit Amerikanern anstellt. Bei Frauen ist er noch viel einfallsreicher. Wenn Sie nicht möchten, dass er sich Jasmin vornimmt, haben Sie bis morgen Mittag Zeit, sich in Hamids Dorf zu begeben. Aber alleine. Und ich hoffe, Sie haben mittlerweile herausgefunden, wo es sich befindet. Wenn nicht, hat Ihre Freundin eben Pech gehabt. Ich muss Ihnen nicht schildern, was passiert, wenn Sie mit Verstärkung oder gar nicht auftauchen, oder?« Melton lauschte kurz. »Also gut. Aber keine Minute länger.«
Zumindest schien Luc mehr Zeit herausgehandelt zu haben. Aber wieso Hamids Dorf? Jede neue Information verstärkte ihre Verwirrung und sie bekam die Angst um Luc kaum noch in den Griff.
Melton musterte sie durchdringend und nickte dann sichtlich zufrieden. »Mit diesem Anruf habe ich zwar nicht gerechnet, aber es macht die Sache nur einfacher. Wie gesagt: Nutzen Sie die letzten Stunden für etwas Ruhe. Der Tag morgen wird lang und anstrengend, aber für Sie wird er ziemlich abrupt enden. Natürlich erst nach dem Wiedersehen mit Ihrem Soldaten. Ich bin ja schließlich kein Unmensch.«
Jasmin widerstand der Versuchung, sich auf ihn zu stürzen. Das hätte ihr nur Verletzungen eingebracht, die sie sich nicht leisten konnte. Noch lebte sie und auch Luc würde bis zum Letzten kämpfen. In gewisser Weise war es ein Signal, dass er von sich aus Kontakt mit Melton aufgenommen hatte. Mochte der Mistkerl auch tun, als ob es ihm gelegen kam, er hielt offenbar keineswegs sämtliche Fäden in der Hand, so wie er vorgab.
Ohne weiteren Kommentar, geschweige denn eine Reaktion auf die Gehässigkeiten ging sie zurück in die ehemalige Zelle und setzte sich in die Ecke, die am weitesten von Melton und seinen Männern entfernt war. An Schlaf war nicht mehr zu denken, stattdessen versuchte sie, die einzelnen Puzzleteile zusammenzusetzen. Vergeblich. Nichts ergab einen Sinn.
38
Obwohl sie nach wie vor darauf verzichtet hatten, sie zu fesseln, war die stundenlange Fahrt über die staubigen Pisten durch das Gebirge eine Tortur und Jasmins Angst wuchs, je näher sie ihrem Ziel kamen. Sie hatte keine Vorstellung, was sie in Hamids Dorf erwartete, bestimmt nicht der übliche, freundliche Empfang.
Der Geländewagen verließ die Piste und bog auf den schmalen Pfad ins Dorf ein, aber keiner der Wachposten zeigte sich. Hamid hätte niemals zugelassen, dass die Zufahrt unbewacht blieb. Wer mochte in diesem Moment im Dorf das Sagen haben? Die Frage wurde schneller beantwortet, als Jasmin es sich gewünscht hätte.
Direkt vor dem Haus, das sie sich vor kurzem noch mit Luc geteilt hatte, erwartete sie Warzai.
Da sie seine Einstellung zu Amerikanern im Allgemeinen und Frauen im Besonderen kannte, überraschte es sie nicht, dass er sie ignorierte. Ihretwegen konnte es so bleiben, aber das Glück würde sie kaum haben. Die kühle Begrüßung zwischen Melton und Warzai interessierte sie weit mehr. Die beiden verband eindeutig nur eine widerwillige Zweckgemeinschaft. Vielleicht konnte sie das später ausnutzen.
Die Männer sprachen zu leise, so dass sie kein Wort verstand, stattdessen nutzte sie die Gelegenheit, sich im Dorf umzusehen. Nur Warzais Leute waren mit ihren Gewehren präsent, kein einziger Bewohner
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