Luc - Fesseln der Vergangenheit
getan, um den Westen vor den Folgen des Opiumhandels zu bewahren, es war reiner Selbstschutz. Die Männer, die den Opiumhandel unter sich haben, sind schlecht für das Dorf. Wer sich mit ihnen einlässt, begeht einen Fehler. Die sind ebenso selbstsüchtig und gefährlich wie Warzai oder die Regierung in Kabul. Wir tun, was wir tun müssen, um zu überleben. Aber was macht es für einen Sinn, sechs schwedische Soldaten zu erschießen, wenn wir nur deren Fahrzeuge brauchen?«
Lucs Kopf ruckte hoch. Die Geschichte kannte er. Eine schwedische Patrouille war in einen Hinterhalt geraten. Als der ranghöchste Offizier gemerkt hatte, dass seine Männer zahlenmäßig und waffentechnisch unterlegen waren, hatte er befohlen, die Waffen zu senken. Das hatte ihn zwei Fahrzeuge gekostet und ihm einige Stunden in praller Sonne eingebracht, aber er und seine Männer hatten überlebt.
»Das wart ihr?«
»Nun ja.«
Kalils Selbstzufriedenheit war mit Händen greifbar und brachte Luc zum Schmunzeln. »Nette Geste, dass ihr ihnen Wasser dagelassen habt.«
»So sind wir eben. Du sprichst Paschtu wie einer von uns, dann kennst du bestimmt auch das hier.«
Neugierig musterte Luc den Inhalt der kleineren Schüssel und hätte beinahe vor Behagen aufgestöhnt. Die Mischung aus gerösteten Nüssen und Honig hatte er als Kind geliebt und es war Jahre her, dass er sie gegessen hatte.
»Verrätst du mir, warum du unsere Sprache sprichst und unsere Gebräuche kennst?«
Luc deutete auf die Schüssel. »Für das hier würde ich dir noch ganz andere Sachen verraten, allerdings mit gewissen Einschränkungen.«
»Damit kann ich leben. Vielleicht sollte ich Warzai einen Tipp geben, dass er mit Tritten und Schlägen auf dem falschen Weg war.«
Die gutmütige Frotzelei ignorierte Luc und griff sich eine Handvoll der Süßigkeit. Es sprach nichts dagegen, Kalil das zu erzählen, was er bereits Jasmin offenbart hatte. Eine lockere Unterhaltung entspann sich zwischen ihnen, die Luc zunehmend genoss. Kalil war wesentlich besser informiert und westlicher orientiert, als er vermutet hatte. Ohne Vorwarnung wechselte Kalil das Thema. »Ich glaube an Hamids Menschenkenntnis und dass du dein Wort hältst. Aber eine Sache muss dir klar sein: Wenn du sie verletzt, bringe ich dich um.«
»Absichtlich werde ich das nicht tun. Genauso wenig, wie ich sie ausnutzen oder um Hilfe bitten werde, aber die Situation ist so verworren, dass ich dir nicht garantieren kann, wie es ausgeht.«
Im Mondlicht erkannte Luc, dass Kalils Blick durchdringend wurde. Dann entspannte er sich wieder. »Das genügt mir. Es wird sich ein Weg finden. Leider reicht es nicht, deinen Leuten die Koordinaten zu geben, wo sie dich finden.«
»Was meinst du?«
»Was glaubst du denn, was passiert, wenn – zum Beispiel – die Amerikaner deinen Aufenthaltsort erfahren? Ein Rettungsteam zu schicken, ist riskant und der Ausgang ungewiss. Ein, zwei von einer Drohne abgefeuerte Hellfire-Raketen verhindern wesentlich effektiver, dass auf Youtube ein Video erscheint, in dem Warzai dich auseinandernimmt oder vorher noch Informationen aus dir rausholt. Das würde dann zwar auch dein Leben und das einiger Frauen und Kinder kosten, aber wen interessiert das schon.«
Diese Schlussfolgerung abzustreiten hätte nichts gebracht, denn Luc wusste, dass sie durchaus realistisch war. Sein direkter Vorgesetzter würde ein derartiges Unternehmen zwar niemals zulassen, aber letztlich stand der Admiral nicht weit genug oben in der Befehlskette, um das zu verhindern, und war weit weg in Kalifornien.
Kalils Lächeln blitzte wieder auf. »Schließt sich eine Tür, tun sich andere auf. Wir werden sehen. Übrigens: Wir lassen gerade an den richtigen Stellen haufenweise Dollarscheine und Goldmünzen fallen, damit ein deutsches Aufbauteam uns eine Kanalisation spendiert. Verrückt oder? Wir bestechen unsere eigenen Leute, um das Geld dahin zu bringen, wo es eigentlich hingehört.«
Damit hatte Luc einen Ansatzpunkt, um später herauszubekommen, wo das Dorf lag. Er ignorierte den leisen Hauch von Unbehagen, denn Kalil war eigentlich zu intelligent für einen derartigen Fehler. Er fragte sich, ob der junge Afghane dieses Detail absichtlich preisgegeben hatte. Zutrauen würde Luc es ihm, sah aber keinen Sinn darin, so dass er sich auf einen neutralen Kommentar beschränkte. »Fließendes Wasser und vielleicht eine vernünftige Stromversorgung wären ein echter Gewinn. Aber packt rechtzeitig die Waffen weg, ehe die
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