Luc - Fesseln der Vergangenheit
wurde. Nach Atem ringend wartete er darauf, dass sie ihn losließen. Kaum verschwand das Gewicht, das sich schmerzhaft in seinen Rücken gebohrt hatte, kam er mit Mühe bis auf die Knie hoch. Als er aufstehen wollte, legte sich eine Hand auf seine Schulter und drückte ihn zurück. »Das reicht. Versuch es gar nicht erst.«
Diesmal gab er nach. Blut lief ihm aus seiner aufgeplatzten Lippe über das Kinn und tropfte vor ihm in den Sand. Aber außer einigen neuen Prellungen hatte er die Auseinandersetzung unverletzt überstanden, selbst die Schmerzen in der Nierengegend ließen nach und wurden erträglich. Dennoch bebte er innerlich vor Wut und hatte Probleme, das nicht zu zeigen. Stur geradeaus blickend ignorierte er das leise Gerede der Männer, nur die gelegentlichen Flüche und Schmerzlaute registrierte er mit Schadenfreude, die er ebenso konsequent wie seinen Ärger verbarg. Die Feindseligkeiten von Warzais Leuten hatte er als gegeben hingenommen, aber die Ungerechtigkeit von Hamids Leuten nagte an ihm.
Der Jüngste, den Luc auf höchstens zwanzig schätzte, rieb sich über seinen Kiefer. Eine rote Stelle zeigte den Punkt, an dem Lucs Faust ihn getroffen hatte. Er ließ Wasser über die Verletzung laufen und verzog das Gesicht. Mit einem resignierten Kopfschütteln trat er dicht an Luc heran, der instinktiv zurückzuckte. Aber statt sich für den Schlag zu rächen, hielt er ihm die Flasche an die Lippen. Ohne zu zögern, nutzte Luc das Angebot und trank durstig. Der Blutgeschmack in seinem Mund war widerlich und wer wusste schon, wie lange sie ihn in der Sonne schmoren ließen. »Danke.«
Der Mann winkte ab. »Wenn du mehr willst, sag es.«
Luc beobachtete die Mienen seiner Angreifer aus den Augenwinkeln. Der Älteste schien über die Situation nicht besonders erfreut zu sein und er hatte mit Abstand das meiste von Luc einstecken müssen. Ein wütender Aufschrei riss Luc aus seiner gleichgültigen Haltung. Wie eine Rachegöttin kam Alima aus dem Haus gestürzt und redete rasend schnell auf den Grauhaarigen ein. Statt auf seine Führungsrolle als Mann zu pochen und die wütende Frau zurechtzuweisen oder zu ignorieren, erklärte er unerwartet bereitwillig die Ereignisse der letzten Minuten.
»Warum ist Mounas Vater auf ihn losgegangen?« Als niemand ihr die Frage beantwortete, winkte Alima einen Mann heran, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte und der für einen Afghanen ungewöhnlich hellblonde Haare hatte. »Bitte beantworte du mir die Frage.«
»Wir bekamen einen Anruf. Es hieß, dass Mouna durch einen Schuss schwer verletzt wurde. Wir haben das so verstanden, dass das irgendwie mit ihm zusammenhing. Jedenfalls wurde sein Name im Hintergrund gerufen.« Er neigte den Kopf in Lucs Richtung. »Als Murat ihn gesehen hat, ist er ausgerastet. Die beiden haben es unter sich ausgemacht und für mich war die Sache geklärt.« Er bedachte den Grauhaarigen mit einem vernichtenden Blick. »Darum habe ich mich auch nicht eingemischt, als sie auf ihn losgegangen sind. Vier gegen einen ist wirklich ehrenvoll.« Verächtlich spie er auf den Boden. »Gut, er hat die Abmachung gebrochen und Murat angegriffen und sich dessen Gewehr geschnappt. Was hätte er auch sonst tun sollen? Murat hätte abgedrückt, da bin ich sicher. Aber der hier hat das nicht getan. Ich an seiner Stelle hätte noch ein paar von uns umgelegt, statt das Gewehr wegzuwerfen.« Für ihn war damit offensichtlich alles gesagt. Er wandte sich ab und ging davon.
Alima ballte die Hände zu Fäusten. »Hamid ist in weniger als einer Stunde zurück. Für mich ist die Sache klar, aber ich überlasse das Urteil ihm.« Sie trat so energisch an den Ältesten heran, dass dieser zurückwich. »Es interessiert mich überhaupt nicht, ob Luc Amerikaner ist. Ich verstehe deine Trauer und den Zorn über den Verlust deines Bruders, aber es war nicht Luc, der ihn umgebracht hat. Die Männer, die die Raketen der amerikanischen Drohnen abfeuern, sitzen weit weg in der Sicherheit ihres eigenen Landes. Für mich ist nur wichtig, dass er Mouna geholfen hat. Niemand hätte ihn dazu zwingen können, aber er hat es getan, und das Mädchen lebt.«
Ohne konkreten Anlass spürte Luc plötzlich, dass Jasmin in der Nähe war. Als er sich suchend umsah, stand sie in der Tür des Hauses, in dem die Operation stattgefunden hatte. Ihre Blicke trafen sich und er fühlte ihren Schmerz und ihre Verzweiflung beinahe körperlich. Unauffällig schüttelte er den Kopf und zwang sich zu
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