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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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falsch lag.
    »Schaut euch das an«, murmelte Rita und bremste ab.
    Ich blinzelte durch die Windschutzscheibe auf die Autoschlange, die sich vom Damm aus zurückstaute. Sie musste mindestens einen halben Kilometer lang sein. Das Wasser in der Mündung stand höher, als ich es je erlebt hatte, es schwappte über die Geländer und stieg immer noch weiter an. Der Damm war vom sturmgepeitschten, schlammbraunen Wasser vollständig überflutet.
    »Jesses«, flüsterte Dom.
    An der Kreuzung stand ein weißer Ford Transit quer auf der Straße nach Black Hill und versperrte die Zufahrt zum Ostteil der Insel. Ein grob wirkender, Zigarette rauchender Mann saß auf dem Fahrersitz und beobachtete die Wagen, die sich dem Damm näherten. Drei oder vier andere Männer liefen herumund dirigierten den Verkehr zurück ins Dorf. Jedes Mal, wenn sie sich herunterbeugten, um einem frustrierten Autofahrer die Situation zu erklären, konnte ich sehen, wie sie heimlich das Innere des Wagens überprüften. Es wirkte wie eine Szene aus einem von diesen amerikanischen Filmen, in denen eine Bürgerwehr das Kommando übernimmt.
    Zentimeterweise schob sich die Autoschlange vorwärts, an der Spitze wendeten die Wagen und fuhren ins Dorf zurück. Ich sah, wie die Fahrer bestürzt den Kopf schüttelten.
    »Die werden wohl fürs Erste nicht nach Hause kommen«, sagte Rita.
    »Wir auch nicht bei diesem Tempo«, fügte Dom hinzu.
    Einige Wagen scherten aus der Schlange aus und wendeten, ehe sie den Damm erreicht hatten, aber die meisten harrten weiter aus, entweder um herauszufinden, was los war, oder weil sie gegen jede Vernunft hofften, dass sie doch durchkommen würden. Wir brauchten ungefähr zwanzig Minuten, bis wir die Kreuzung erreichten. Zwischendurch donnerte ein Motorrad an uns vorbei und raste zu dem weißen Lieferwagen, wo es schleudernd abbremste. Der Motorradfahrer, ein Schlägertyp ohne Helm, aber in Lederjacke, sprach mit jemandem auf dem Beifahrersitz des Lieferwagens, dann riss er das Motorrad herum und jagte in Richtung Black Hill davon. Ich sah, wie Dom das Ganze mit einem besorgten Blick beobachtete.
    »Kennst du den?«, fragte ich.
    »Micky Buck«, flüsterte er. »Ein Freund von Brendell.«
    Ich wollte noch etwas anderes sagen, aber Dom stieß mir gegen das Bein, nickte nach vorn in Ritas und Bills Richtungund schüttelte den Kopf. Ich verstand zwar nicht ganz, was er meinte, aber ich wusste genug, um die Klappe zu halten.
    Rita legte den Gang ein und wir fuhren vor bis zur Spitze der Schlange. Jetzt war nur noch ein Auto vor uns und ich sah die angeschwollene Flussmündung deutlich vor mir. Auch am anderen Ufer fuhren die Autos vor bis zur Wasserkante, ehe sie umdrehten und zurück ins Landesinnere verschwanden. Draußen in der Mitte der Mündung schwankte ein Ruderboot in den Wellen auf und ab. Es saßen zwei Männer drin, die ich beide vom Sommerfest wieder erkannte. Sie starrten über die Bootskante wie betrunkene Fischer, die nach Haien Ausschau halten. Es war kaum zu glauben, wie bescheuert sie waren. Selbst wenn Lucas immer noch auf der Insel
war
– glaubten sie wirklich, er würde zu fliehen versuchen, indem er mitten in einem Sturm die gut bewachte Flussmündung durchschwamm? Und wie glaubten sie ihn daran hindern zu können, wenn er es wirklich täte? Was würden sie tun – ihn harpunieren? Idioten.
    Während ich hinschaute, hob einer der beiden den Blick und zeigte zum Himmel. Der andere verdrehte den Hals und stand auf, aber das Boot fing an zu schaukeln und er setzte sich schnell wieder hin, immer noch den Blick nach oben gerichtet. Dann hörte ich es auch, das schneidende Tschoptschop eines Hubschraubers. Ich lehnte mich gegen das Fenster und schaute genau im rechten Moment hoch, um einen kleinen gelben Hubschrauber zu sehen, der in gerader Linie über die Mündung hinweg zum Point flog.
    »Rettungsflieger«, sagte Dom. »Die werden mit dem Landen ganz schöne Probleme kriegen bei diesem Wetter.«
    »Wenigstens versuchen sie es«, erwiderte ich.
    Dom sah mich an. Er wollte eben etwas sagen, als jemand ans Fahrerfenster klopfte und in der Scheibe ein regennasses Gesicht auftauchte. Rita kurbelte das Fenster herunter und ein stämmiger junger Mann streckte seinen Kopf herein und füllte das Wageninnere mit einem Schwall bieriger Atemluft.
    »Ihr müsst zurück, Leute«, sagte er und schaute nach hinten. »Es ist Sturmflut. Ihr könnt da nicht weiter.«
    Rita starrte ihn an. »Würdest du bitte deinen Kopf aus meinem

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