Lucas
kurzes Top und seitlich geschlitzte Jeansshorts, mit mehr Schlitz als Shorts. Ihr Gesicht war mit blutrotem Lippenstift und fettem Lidstrich aufgedonnert. Sie hielt den Rücken nach hinten gebeugt und die Hände hinter dem Kopf verschränkt, um ihren Bauch zur Schau zu stellen.
»Hübsch«, sagte ich.
Bill zuckte die Schultern.
»Und was machst du hier drinnen?«, fragte ich.
»Ich hab dich reingehen sehen. Da dachte ich, ich sag mal Hallo.«
Ich nickte und starrte auf den Computerbildschirm. Was sollte ich sagen?
»Schau mal«, sagte sie. »Wegen neulich . . .«
»Mach dir deswegen keinen Kopf.«
»Wir sind doch noch Freunde?«
Ich zuckte die Schultern. »Denke schon.«
»Es war nur ein Spaß.«
»Genau.«
»Komm schon, Cait . . .«
Sie hatte ihre Haare schwarz gefärbt und trug eine kurze Lederjacke und schwarze Leggins. Mit ihren wimperngetuschten Augen und dem dunkelrot gemalten Lippenschwung sah sie aus wie eine Motorradbraut aus den fünfziger Jahren. Nicht dass daran irgendwas schlimm wäre, im Gegenteil, ich fand, sie sah ganz schön cool aus. Es war nur nicht die Bill, die ich
kannte
.
Sie fuhr sich durch die Haare und sagte: »Hey, hast du das über den Zigeuner gehört?«
Ȇber
wen
?«
»Den Jungen, den wir am Damm gesehen haben?«
»Er ist kein
Zigeuner
, verflucht noch mal. Und du hast ihn sowieso nicht gesehen, du hast dir da nämlich gerade am Straßenrand deine Eingeweide aus dem Leib gekotzt –«
»Schhh«, zischte die Bibliothekarin und warf mir einen bitterbösen Blick zu.
»’tschuldigung«, flüsterte ich.
Bill grinste. »Alte Zicke.«
Ich senkte die Stimme. »Was ist mit ihm?«
»Mit wem?«
»Dem
Jungen
. . . dem Jungen am Damm?«
Bill lächelte. »Hast du ihn getroffen? Scheiße! Bei ihm würde ich bestimmt nicht Nein sagen, obwohl er ein –«
»Was
ist
jetzt mit ihm?«, unterbrach ich sie. »Wann hast du ihn gesehen?«
Sie beugte sich weiter zu mir herunter. »Lee hat einen Freund mit einem Rennboot. Gestern Abend waren wir damit draußen, auf der anderen Seite vom Point.«
»Wer ist
wir
?«
»Lee, Angel, Robbie, noch ein paar andere.«
»Was habt ihr am Point gemacht?«
»Na ja, du weißt schon . . .« Sie zwinkerte und berührte seitlich ihre Nase. »Egal, wir hatten den Motor abgeschaltet und trieben nur so dahin, als Lee plötzlich diesen
nackten
Jungen auf der Insel hinter dem Watt entdeckt.« Sie lachte. »Es war der Zigeuner. Er hat da gebadet, in einem Tümpel am Waldrand.«
»Woher weißt du, dass er es war?«
»Lee hatte ein Fernglas dabei. Angel hat ihn vom Damm her wiedererkannt.«
»Ihr habt ihn durchs Fernglas beobachtet?«
»Darauf kannst du wetten.«
Ich schüttelte den Kopf. Es konnte nicht der Junge gewesen sein. Der einzige Weg zu dem Wald auf der kleinen Insel führt durchs Watt und die einzigen Menschen, die den Weg gut genug kennen, um es zu überqueren, sind Einheimische. Wenn du dich da draußen nicht auskennst, bist du innerhalb von Minuten verloren.
»Es muss jemand von der Insel gewesen sein«, sagte ich.
»Niemals«, sagte Bill. »Das wüsste ich, wenn es hier jemanden gäbe, der so gut aussieht.« Sie grinste breit. »Und wenn ich nicht, dann mit Sicherheit Angel.«
Ich seufzte. »Was ist danach passiert? Hat er euch gesehen?«
»Willst du nicht wissen, was ich gesehen habe?«
»Erzähl mir einfach, was passiert ist«, sagte ich kalt. »Hat er euch gesehen?«
Ärgerlich verzog sie das Gesicht und einen Moment glaubte ich, sie würde mir sagen, ich sollte die Klappe halten. Das hätte ich sogar verstanden. Ich redete mit ihr, als wäre sie Dreck. Aber sie hatte noch nie zu denen gehört, die sich von Ärger auffressen ließen. Und abgesehen davon war die Versuchung, mir alles zu erzählen, einfach zu groß.
Sie hockte sich neben mich. »Es war wirklich unheimlich, Cait. Ich habe ihn durch das Fernglas beobachtet – konnte aber nicht
viel
sehen, weil der Tümpel halb hinter Büschen versteckt lag.« Sie warf mir einen lüsternen Blick zu. »Trotzdem hab ich genug gesehen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ich ignorierte den Arm, mit dem sie mich anstieß.
»Er stand einfach nur da«, fuhr sie fort, »völlig nackt, und starrte etwas im Wasser an. Es schien, als wäre er in Trance oder so. Und dann wandte er plötzlich, während ich ihn beobachtete, den Kopf und sah mich an.« Ihre Augen wurden ganz schmal bei der Erinnerung. »Es war wirklich unheimlich, ich meine, er konnte doch gar nicht wissen, dass wir da
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