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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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    »Regatta?«
    Ich lächelte. »Die West Hale Regatta. Ein Spaß für die ganze Familie. Segeln, Floßrennen, Tee und Kuchen . . . alles umsonst. Außer Tee und Kuchen natürlich.«
    »Klingt, als dürfte man das auf keinen Fall versäumen.«
    »Genau!«
    »Also gut, wenn ich noch da bin . . . und sonst nichts zu tun habe . . .«
    »Es gibt eine Klippe oberhalb der Bucht«, erzählte ich ihm. »mit Stufen, die seitlich in den Fels gehauen sind . . . Wir verfolgen das Rennen immer von dort aus. Ich und mein Dad . . .« Plötzlich merkte ich, dass ich mich wohl gerade lächerlich machte, indem ich wie ein Kleinkind bettelte. Ich holte Atem und beruhigte mich, versuchte cool zu sein, coole Gedanken zu denken . . .
    »Du weißt jetzt also Bescheid«, sagte ich – höllisch cool. »Wenn du da bist . . .«
    Er lächelte. »Ich werde Ausschau halten nach dir.«
    »Okay.«
    Er winkte und folgte dem Pfad. Diesmal ließ ich ihn gehen.Es gibt alle möglichen Gefühle. Zum Beispiel das Gefühl, wenn du, mit dem Kopf in den Wolken, die Füße über dem Boden schwebend, in der Abendsonne nach Hause gehst, und es flattert so stark im Magen, dass du glaubst, du hältst es nicht aus. Wenn alles hell und klar erscheint, alles brandneu wirkt. Wenn die Frische der Luft auf deiner Haut prickelt und sich wie etwas Lebendiges anfühlt, und du kannst gar nicht aufhören zu lächeln und der Sand unter deinen Füßen ist so weich, dass du die Schuhe ausziehen und dich im Kreis drehen und drehen und drehen möchtest . . . und du weißt, du wirkst wie ein Idiot, aber es ist dir egal . . .
    Das ist das eine.
    Und dann gibt es auch das Gefühl, wenn du einen Moment innehältst und dich ans Ufer der Bucht setzt und über Verschiedenes nachdenkst.
    Ich setzte mich hin.
    Die Bucht lag still, ich hörte nur das sanfte Kräuseln des unter der Brücke strömenden Wassers und das leise Rascheln des Windes im Gras. Das Wasser wirkte im Abendlicht kühl und dunkel. Es floss langsam, von Torf und Sedimenten gesättigt, die es von den Waldhügeln im Zentrum der Insel herabgespült hatte. Regen, Holz, verrottende Blätter, längst verstorbene Tiere, Mineralien, Erde . . . Ich stellte mir die Elemente vor, wie sie sich ihren Weg aus den Hügeln hinab in die Bucht und zuletzt hinaus auf die offene See bahnten, wo sie sich schließlich mit dem Meer vereinten oder zu Wolken verdunsteten, um als Regen wieder auf anderen Waldhügeln niederzugehen . . .
    Und was war mit mir?
    Was tat ich?
    Also, auf jeden Fall dachte ich nach. Ich dachte über die Bucht nach, über Hügel, Wälder und Wasser . . . wie sich alles im Kreis bewegt und niemals wirklich ändert. Wie Leben alles recycelt, was es benutzt. Wie das Endprodukt des einen Prozesses den Anfangspunkt eines anderen darstellt, wie jede Generation alles Lebendigen von den Stoffen abhängt, die von den vorangegangenen Generationen freigesetzt wurden . . .
    Ja, darüber dachte ich nach.
    Ich weiß nicht,
warum
ich darüber nachdachte. Es schien mir einfach so in den Sinn zu kommen.
    Ich dachte auch über Krebse nach. Ich fragte mich, ob sie
wirklich
ein Gedächtnis besaßen, wie Lucas kurz überlegt hatte. Und wenn ja, woran erinnerten sie sich dann? An ihre Kindheit, ihr Krebsdasein im Kleinkindstadium? Erinnerten sie sich an sich selbst als winzig kleine Wesen, die im Sand herumliefen und zu vermeiden versuchten, von Fischen und anderen Krebsen gefressen zu werden? Und an alles andere, das damals größer gewesen war als sie? Dachten sie darüber nach, während sie sich mit ihren Scheren die harten Schädel kratzten? Erinnerten sie sich an gestern? Oder erinnerten sie sich nur, was vor zehn Minuten war? Vor fünf? Und ich fragte mich noch immer, wie es wohl sein müsste, in einen Topf mit kochendem Wasser geworfen zu werden . . .
    Über all dies und noch mehr dachte ich nach, aber so richtig überlegte ich die Dinge gar nicht. Sie waren einfach nur da, trieben in meinem tiefsten Innern herum und dachten über sich selbst nach.
    Worüber ich wirklich nachdachte, war natürlich nur Lucas.
    Und als ich dort saß und über die Bucht blickte, dämmerte mir, dass ich immer noch nichts von ihm wusste. Ich kannte seinen Namen, aber das war auch schon alles. Und selbst da wusste ich nicht mal sicher, ob es Vor- oder Nachname war. Er konnte Lucas Grimes, Lucas Higginbotham, John Lucas oder Jimmy Lucas heißen . . . ich musste innerlich lächeln . . . er konnte genauso gut Wayne oder Darren heißen.
    Ich hatte keine

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