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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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meinen seltsamen Begegnungen erfuhr. »Woher kannte er die Inschrift?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Diese Frage hatte ich mir in den letzten Tagen ungefähr hundert Mal gestellt.
    »Und dass er ständig wie aus dem Nichts auftaucht und dir auflauert? Dass er Essen klaut – in unserem Diner? Findest du das nicht komplett psycho?«
    »Ich weiß, dass es verrückt ist«, stöhnte ich. Dass ich sein Mittagessen bezahlt hatte, hatte ich Suse vorsichtshalber unterschlagen. »Aber noch verrückter ist, was ich spüre, wenn er da ist.«
    »Und was spürst du?« Suse sah mich an, als ob ich gerade vorgeschlagen hätte, Tarotkarten zu legen.
    Ich vergrub den Kopf in meinen Händen. »Es klingt total bescheuert«, sagte ich. »Aber da ist jedes Mal so eine komische Ruhe in mir. Es fühlt sich an wie . . . ganz sein. Vorhin in der U-Bahn war es auch so. Ich habe ihn nicht gesehen, aber ich habe gefühlt, dass er da ist.Ach, verdammt. Du hast ja recht, ich spinne mir hier wahrscheinlich den größten Müll zusammen.«
    Ich hielt inne und sah zu Suse, die ihren Kopf schräg gelegt hatte. Sie kaute unablässig auf ihrer Oberlippe herum.
    »Wie sieht er aus, Becky?«
    »Was meinst du?« Ich stutzte. Galaktisch. Das war mein erster Gedanke, aber ich ärgerte mich darüber.
    »Er . . . er hat schwarze dichte Haare«, murmelte ich. »Er ist ziemlich schlank, aber durchtrainiert.« Ich merkte, dass ich in Fahrt geriet, dass es aufregend war, über ihn zu sprechen, dass ich ihn am liebsten bis ins kleinste Detail beschrieben hätte.
    »Er hat ein schmales Gesicht, hohe Wangenknochen und tiefe Schatten unter den Augen. Aber er sieht nicht müde aus, sondern irgendwie erschöpft und gleichzeitig wach, unruhig, als wäre er vor etwas auf der Flucht. Er . . .«
    »Er war im Schwimmbad, Becky«, unterbrach Suse meinen Redeschwall. Sie schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Bei den Sprungbrettern. Der Fünfer war gesperrt, aber er muss da trotzdem hochgeklettert sein. Jedenfalls saß er oben auf dem Brett und schaute zu uns runter, oder vielmehr: zu dir. Es war genau der Moment, in dem du aus dem Wasser aufgetaucht bist. Ich wollte es dir erzählen, aber da hast du plötzlich Gas gegeben wie ein Delfin auf Dope.« Suse schüttelte den Kopf. Plötzlich sah sie richtig verstört aus. »Scheiße, Becky. Es war genau der Moment. Der Typ hat zu dir runtergeschaut und du bist losgeschossen.«
    Ich starrte auf Suses Schminktisch, der mit Tiegeln und Tuben vollgestellt war. An der Pinnwand darüber klebten Digitalfotos von Suses Arbeiten: aufgeplatzte Wunden, Brandblasen und Horrormasken. Für ein paar dieser Bilder hatte ich selbst Modell gestanden.
    »Becky, ich finde, dass du mit Janne sprechen solltest«, sagte Suseeindringlich. »Da stimmt was nicht. Da läuft etwas komplettamente falsch, verstehst du? Was weiß ich, vielleicht hast du dich einfach total verknallt.«
    Ich spürte, wie ich innerlich zusammenzuckte. Hatte ich das? Nein, verknallt war ich ganz bestimmt nicht. Aber was war mit Liebe? Liebe auf den ersten Blick? An so etwas glaubte ich nicht. Das, was Liebe für mich ausmachte, war etwas ganz anderes. Ich sah es tagtäglich bei Spatz und Janne und früher hatte ich es auch bei Dad und Janne gesehen. Ich hatte es im Ansatz sogar selbst erlebt – mit Sebastian. Das waren so viele Details, die zum Ganzen wurden, das konnte man nicht bei einem völlig Fremden fühlen. Oder doch?
    Suse musterte mich besorgt. »Dieser Typ verfolgt dich. Nicht nur am Tag. Er stand vor deinem Fenster. Nachts. Er weiß, wo du wohnst . Er ist kriminell, klaut sich sein Essen zusammen – erst auf dieser komischen Party, dann im Diner. Hast du dir mal überlegt, warum er dir nicht seinen Namen gesagt hat? Vielleicht wird er gesucht, vielleicht ist er aus der Klapse abgehauen. Vielleicht hat er jemanden getötet, Becky. Wenn du mich fragst, das ist ein Fall für die Poli. . .«
    »Nein!« Ich war aufgesprungen, ohne es bemerkt zu haben. Die Schaukel quietschte. Suses Hamster Ozzy war in seinem Käfig aufgeschreckt. Fiepend kroch er aus seinem Häuschen.
    »Suse, du musst mir versprechen, dass du das für dich behältst«, beschwor ich meine Freundin. »Dass du mit niemandem darüber redest, okay? Versprich es mir!«
    Suse seufzte tief. »Ich verspreche es. Aber du versprichst mir, dass du mir immer alles erzählst. Dass du vorsichtig bist. Und dass du sofort, wenn irgendwas noch schräger wird, mit Janne redest. Das musst du mir schwören

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