Lucifer - Traeger des Lichts
lebendig, nicht tot, nur da. In Uranos. Für alle Ewigkeit.
Er streckte den Arm aus und nahm ihre Hand in seine, etwas, wonach sie immer häufiger verlangte in der schweren Zeit, seit sie von ihrem dritten Ehemann geschieden war. Ihr Haar war nun ganz und gar grau. »Spürst du meinen Puls?«, fragte er.
»Ja.«
»Das ist ein Zeichen des Lebens. Mit jedem Herzschlag zehre ich die Existenz von Chronos ein wenig weiter auf, stehle ein wenig von seinem Leben. Doch jedermann tut das, und das Leben der Zeit ist tausend, Millionen, Milliarden Mal größer als das Universum. Aber wenn Uranos sich der Zeit bemächtigen würde, gäbe es keinen Pulsschlag mehr. So wie wir vom Leben der Zeit zehren, wenn das Herz in vollkommenem Rhythmus mit dem Takt der Uhren schlägt, so zehrt Uranos von unserem Leben. Er wird uns reduzieren auf den winzigsten Gedanken, den kleinsten Funken, den unsere Seelen hervorbringen können. Uranos ist das einzige Wesen im Universum, das nicht von der Zeit zehrt, sondern von jenem Teil des Universums, der zeitlos ist. Er ist Nicht-Leben, Nicht-Tod, er ist eine sehr, sehr einfache Art von Existenz; auf einen einzigen Punkt konzentriert, geht er nirgendwohin, verändert sich nie.« Er zuckte die Schultern. »Zeitlos.«
»Wie was? Was gibt es, das zeitlos ist?«, fragte sie spöttisch. »Du redest doch immer davon, dass die Zeit alles bestimmt.«
»Nicht alles. Es gibt Dinge, die außerhalb der Zeit liegen. Ideen sind zeitlos. Der menschliche Hass vor tausend Jahren ist derselbe wie der menschliche Hass heute. Dasselbe gilt für die Liebe. Dasselbe für das Mitgefühl. Für den Neid. Erinnerungen sind zeitlos - entweder hat man sie oder nicht. Uranos zehrt von diesen Erinnerungen, bis ihre Besitzer zu nichts geschrumpft sind. Uranos zehrt von diesen Ideen, bis alles, was bleibt, die nackten Knochen desjenigen sind, der diese Dinge fühlt. Wo Chronos das Leben und die Zukunft gibt, nimmt Uranos die Seele und die Vergangenheit und friert alles in sich ein. Unter Uranos gäbe es keinen Tod. Aber auch kein Leben.«
Sie saß eine lange Zeit still, spürte seinen Pulsschlag in ihrer Hand. »Du sagst, Chronos ist überall, in der Zukunft, in der Vergangenheit. Für ihn ist alles ein und dasselbe.«
»Ja.«
»Dann hat er den Krieg kommen sehen?«
»Ja. Er hat jeden Krieg gesehen und jeden Menschen, der darin stirbt.«
»Warum verhindert er es nicht?«
»Was? Soll Chronos die Welt anhalten und sagen: >Nein, das soll nicht geschehen«? Und was dann, wenn die Armeen eingefroren sind? Wie wäre das besser als Uranos: Armeen in lebendem Tod gefangen? Chronos hat die Evolution nicht begonnen, weißt du. Er kontrolliert die Menschen nicht. Alles was er tut, ist die Dinge in Gang zu halten.«
»Und doch sagst du, er hat mit voller Absicht dafür gesorgt, dass Magie dich empfing? Warum?«
»Als Werkzeug. Nur weil Chronos nicht direkt auf das Leben einwirkt, ist er sich doch nicht zu schade, Menschen darauf einwirken zu lassen oder sogar Unsterbliche. Er hat mich geschaffen, damit ich ein bestimmtes Stück Geschichte auf eine bestimmte Art und Weise geschehen lassen kann. Warum weiß
ich nicht. Ich weiß auch nicht was. Aber ich bin mir sicher, wenn es so weit ist, dann werde ich es merken. Chronos würde kein Werkzeug schaffen, damit es sein Leben für einen wertlosen Zweck vergeudet.«
»Er greift nicht direkt ein?«
»Um Himmels willen, nein! Zu gefährlich. Es gibt Hunderte von Mächten dort draußen, Hunderte von Inkarnierten. Nicht viele Höhere Mächte, zugegeben, aber die Gefahr besteht, dass es immer einen größeren Fisch im Teich gibt. Und sie haben alle ihre eigenen Ziele und Pläne. Wenn Chronos direkt zu einer Macht sagen würde: >Dies soll so sein, weil ich es befehle<, oder: >Ich herrsche hier, du sollst anderswohin gehen<, würde dies womöglich dazu fuhren, dass ein System ins Wanken kommt, das bereits ... na ja, ziemlich instabil ist« »Wie instabil?«
»Nun, das letzte Mal, als die Höheren Mächte eine echte Auseinandersetzung hatten, wurden die Dinosaurier ausgelöscht. Darum wirkt Chronos nun vorzugsweise durch Sterbliche. So kann er sich einfach zurücklehnen und sagen: >Ich hab doch gar nichts getan.<« »Du hast Angst«, sagte sie leise. »Wie kommst du darauf?«
»Selbst wenn du nur davon sprichst, geht dein Puls schneller.« Sie lächelte leicht. »Du weißt, ich wurde dazu ausgebildet, solche Dinge zu bemerken.«
Befangen entzog er das Handgelenk ihrem Griff und lehnte sich
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