Lucy
millionmal gedrückt.«
»Hast du den Arsch von der gesehn?«
»Ich hätt auch so ’n Arsch, wenn ich eislaufen würd, seit ich zwei bin.«
Nur Gerede von irgendwelchen Leuten im Korridor. Aber wo sind wir, fragte Lucy sich. Was ist das für ein Ort? Sie hörte einen Schlüssel im Schloss und sprang auf die Beine. Ein Mann mittleren Alters mit einer Halbglatze und einer dicken roten Nase kam hereingeschlurft und grinste sie mit schiefem Mund anzüglich an. Er war gekleidet wie ein Hausmeister, mit grauem Hemd und Hose, und trug eine Baseballkappe, die er weit in den Nacken geschoben hatte. Ein Mundschutz hing unbenutzt um seinen Hals. Er ging zur Wand, wickelte einen grünen Schlauch von einer Halterung und bewegte sich auf den Käfig zu. Mit zwischen die Lippen gepresster Zunge hielt er den Schlauch in ihre Richtung und drehte ihn an. Lucy schrie auf, als das eiskalte Wasser sie traf. Sie kroch ans hinterste Ende des Käfigs, während er den Boden abspritzte und Urin und Kot in einen Abfluss im Boden jenseits der Gitterstäbe spülte.
»Was machen Sie da?«, schrie Lucy. »Sind Sie wahnsinnig?«
»Du bist also dies Affenmädchen, hä? Warst ’n paar Tage bewusstlos.« Er starrte Lucy auf eine Weise an, dass sie sich noch mehr danach sehnte, etwas zum Anziehen zu haben. |322| »Weißte was, du siehst gar nicht übel aus, wenn du erst mal sauber bist.«
»Wo sind meine Kleider? Warum bin ich in einem Käfig? Wer hat mich hierhergebracht?«
»Du bist hier nackt angekommen. Und du bist in ’nem Käfig, weil du ’n Affe bist.«
»Das können Sie nicht machen. Ich sterbe hier drin. Sehen Sie nicht, dass ich ein Mädchen bin?«
»Sag ich ja, bist ’ne Augenweide. Aber die haben gesagt, ich soll mich nicht wundern, dass du aussiehst wie ’n Mensch. Die haben deine Gene gesehen. Die können so was sehen. Die wissen, was was ist. Die sind Wissenschaftler.«
Lucy war auf Höchste alarmiert, als sie das Wort Wissenschaftler hörte. »Wo bin ich hier?«
»Die woll’n dich erforschen.«
»Mich erforschen? Wer? Wie? Was werden sie tun?«
»Woher soll ich das wissen. Ich bin hier bloß der Depp vom Dienst.«
»Wo sind wir? In welcher Stadt?« Doch er grinste nur wieder anzüglich, und Lucy erkannte, dass sie mit der falschen Person sprach. »Hören Sie«, sagte sie dann. »Können Sie mir Wasser geben? Und etwas zum Anziehen? Es ist eiskalt hier drinnen.«
»Ich spritz nur die Käfige ab. Der Doktor kommt aber bald.« Der Mann drehte sich um und ging Richtung Tür.
»Warten Sie«, rief Lucy. »Was für ein Doktor?« Er sah sich noch mal nach ihr um und grinste. Lucy konnte seine bräunlich verfärbten Zähne sehen und spürte, wie er sie mit seinen Blicken abtastete. Ein Schauder überlief sie. »Könnte ich etwas Wasser haben? Etwas Wasser aus dem Schlauch? Bitte.«
Mit einem Glucksen schüttelte er den Kopf. »Na, so weit kommt’s noch«, sagte er und ging zur Tür hinaus.
|323| Dann konnte Lucy nicht mehr, sie sackte in sich zusammen und begann zu weinen. Sie hatte sich also nicht geirrt. Sie war in einem Labor, und irgendwer würde sie wissenschaftlich erforschen. Man würde Experimente mit ihr machen. Sie hatte Geschichten darüber gehört, was mit Affen in Labors gemacht wurde. Und sie bekam schreckliche Angst. Mehr als je zuvor in ihrem Leben. Das Echo ihrer schrillen wehklagenden Laute hallte wider von den Wänden des hohen gewölbten Raums. Dann fiel ihr ein, dass ihr jemand zuhören könnte. Sie sah sich nach Mikrofonen um, entdeckte aber keine. Was nicht hieß, dass keine da waren. Vielleicht waren sogar Kameras installiert. Sie unterdrückte ihr Weinen und schlang die Arme fester um sich. Der Betonboden war kalt und rau, und ihr Mund war so trocken, dass sie kaum noch schlucken konnte.
|324| 35
Jenny und Amanda fuhren direkt zu Harry, als sie aus Milwaukee wiederkamen. Sie warteten in seiner Küche auf ihn, als er abends aus dem Krankenhaus nach Hause kam.
»Was für eine schöne Überraschung«, sagte er, ging zum Gefrierschrank und sah hinein. »Ich habe noch genug Erbsensuppe und ein Baguette. Habt ihr Hunger? Ihr beide seht ja aus, als wäre euer Hund überfahren worden. Wo ist Lucy?«
Während Harry die Erbsensuppe auf dem Herd heiß machte, erklärte Jenny ihm alles. Er nahm die Neuigkeit ohne äußere Regung auf. Als sie fertig war, sagte er: »Wie furchtbar. Ich habe mich schon gefragt, warum du mir aus dem Weg gehst, und dachte, es wäre wegen unseres letzten Treffens.«
»Nein.
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