Lügen & Liebhaber
deine Termine einhalten.«
Karl zeigte sich weiterhin sehr besorgt und wollte meine Telefonnummer am Krankenbett, aber ich log ihm vor, das ginge nicht, ich hätte kein Telefon und würde gerade vom Gemeinschaftsapparat im Flur anrufen.
Eine meiner Bettnachbarinnen, eine dralle Person um die Fünfzig, die zu jeder Tag- und Nachtzeit violetten, kußechten Lippenstift trug, grinste.
»Liebhaber? Freund?« fragte sie, nachdem ich das Telefon ausgestellt hatte.
»Weder noch«, murmelte ich. Es war einfach nur so, daß nicht Hans und Franz bei mir anrufen sollten. Karl war zwar so gesehen mein neuer Partner, aber irgendwie immer noch Hans und Franz.
*
Konstantin bekam ich in diesen Tagen nicht zu Gesicht. Zum Glück hatten ihn diverse Gipse und Verbände bewegungsuntauglich gemacht, und mein Lebensplan sah auch nicht vor, ihn im Nebengebäude aufzusuchen. Daß er schuld war, lag in diesem Fall ja wohl klar auf der Hand. In zweiter Linie war natürlich auch Diego zur Rechenschaft zu ziehen. Schließlich hatte er darauf gedrungen, Konstantin überhaupt auftreten zu lassen. Immerhin war das Thema Konstantin und seine Befähigung zum Tanzen ein für allemal durch. Während sich bei der nächsten Umbesetzungsprobe (neben Konstantin war jetzt auch noch Julia krank geworden) alle nach meinem Befinden erkundigten und mich löcherten, wie sich der freie Fall in den Orchestergraben denn angefühlt habe, ging Diego mit keinem Wort auf das Ereignis ein, stellte nur – und das war mein Glück – Stanislaw an meine Seite.
»Ich auf dich passen auf«, flüsterte er etwas zu feucht in mein Ohr, um kurz darauf all meine Erwartungen zu übertreffen. Nicht nur, daß er mich wie ein Gott führte, er begriff die Schrittfolge auf Anhieb und trampelte kein einziges Mal auf meinen Füßen herum. Auch Diego war zufrieden. Nach einer Dreiviertelstunde klatschte er in die Hände und entließ seine Kinder , wie er uns immer nannte, in den wunderschönen Frühsommertag.
Der Tag war wirklich wunderschön. Milde zwanzig Grad, Sonne, Eiscreme essende Menschen überall. Ich schickte Adriano ein paar vernichtende Gedanken, und dann fand ich plötzlich, daß Konstantin doch ganz schön arm dran sei und ich ihn vielleicht besuchen sollte. Der arme, unbegabte Kerl. Schon war ich über meinen Schatten gesprungen und auf dem Weg ins Krankenhaus.
Konstantin starrte Löcher in die Luft, als ich ins Zimmer kam. Rechts von ihm lag ein Kerl im Bodybuilderformat, der ein Computermagazin durchblätterte, indem er bei jeder Seite seinen Ringfinger bespeichelte.
»Ah! Die Grazie!« begrüßte Konstantin mich breit grinsend.
»Was heißt hier Grazie?«
»Ohne deine Mithilfe läge ich jetzt bestimmt nicht hier.«
Empört baute ich mich vor Konstantin auf, holte tief Luft, ließ mich dann aber nur erschöpft auf sein Bett sinken.
Konstantin grinste immer noch, der Typ aus dem Nebenbett sah interessiert zu mir rüber. Schöne bernsteinfarbene Augen in einem viel zu aalglatten Gesicht.
»Können Sie aufstehen?« fragte ich ihn.
»Klaro, Mann.«
»Er hatte Nierenversagen«, warf Konstantin besorgt ein.
Doch der Typ hievte seine Beine schwungvoll aus dem Bett, blieb erst mal eine Weile auf der Bettkante sitzen, bevor er sich erhob und seine Zeitschrift auf dem Beistelltisch ablegte. Etwas schwankend stand er da, grinste breit und präsentierte dabei ein außergewöhnlich perfektes Gebiß – vermutlich unecht. »So, und jetzt bitte einen Kinnhaken«, ordnete ich an, während ich auf Konstantin zeigte und gleichzeitig einen Schritt zur Seite trat.
Ich war gespannt, wie es weitergehen würde, und dann geschah in der Tat genau das, was ich gehofft hatte. Der Muskelmann holte aus und hieb Konstantin mit seiner Faust ins Gesicht. Dieser wußte so schnell gar nicht, wie ihm geschah. Erst als ihm Blut aus der Nase tropfte, schien er zu begreifen.
Ich drückte dem Mann mit dem Nierenversagen die Hand, vielen Dank auch, Konstantin bekam ein Küßchen auf die verschwitzte Stirn, dann verließ ich fröhlich pfeifend das Krankenhaus. Hoffentlich bekam mein Zuarbeiter keine Anzeige wegen Körperverletzung.
Danach ging es mir blendend wie lange nicht mehr. Endlich hatte ich verstanden, daß man aus Mitleid besser nicht verzieh. Ich war so gut gelaunt, daß ich sogar Lust auf einen gründlichen Hausputz bekam. Als ich gerade in Unterhose und T-Shirt damit beschäftigt war, den Boden zu wischen, klingelte es. Normalerweise läuteten bei mir nur Handzettelverteiler oder
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