Lügen & Liebhaber
nicht.
Was war bloß los? Noch nicht mal dreißig und schon auf dem absteigenden Ast? Oder lag es daran, daß ich die Initiative ergriffen hatte? Vielleicht wollte Oskar schlicht und einfach die Rolle des primitiven Eroberers übernehmen.
In Karls Wohnung brannte Licht. Das konnte ich sehen, als ichin der Zionskirchstraße aus dem Taxi stieg. Ich war müde. Müde des Lügens.
Karl saß bei offener Dachterrassentür im Wohnzimmer und malte. Es war keine optische Täuschung, sondern pure Wirklichkeit. Die Palette in der linken Hand, den Pinsel in der rechten – Karl trug nur ein überweites Herrenhemd, darunter lugten kräftige, stachelige Beine hervor. Staunend trat ich näher. Das, was auf der Leinwand zu sehen war, hatte ganz eindeutig Ähnlichkeit mit einer Amphibie – eine Amphibie in orangefarbenen Tönen.
Karl drehte sich nur kurz um und nickte mir zu.
»Hey, toll!« sagte ich und wußte nicht, ob Karl sauer auf mich war, weil ich erst zu so später Stunde nach Hause kam.
»Spaß gehabt mit deiner Freundin?« Seinem Tonfall nach zu urteilen, gab es keinen Grund zur Beunruhigung.
»Ja. Wir waren im Kino und dann noch im ›Schwarzen Raben‹.«
Ich nannte einen Film, den ich vor kurzem in Hamburg gesehen hatte. Hoffentlich würde er nicht bei dem Kino nachhaken, schließlich kannte ich mich in Berlin überhaupt nicht aus.
»Ihr wart im Kino, obwohl ihr euch so lange nicht gesehen habt?«
»Sie ist Cineastin, weißt du … Danach hatten wir ja noch genug Zeit zum Reden.«
Um vom Thema abzulenken, erklärte ich Karl, daß ich überrascht sei, bisher hätte ich seine Amphibienmalerei nur für ein Hirngespinst gehalten.
»Da siehst du mal.« Karl lächelte irgendwie traurig in sich hinein.
»Aber wo sind all die Bilder, die du gemalt hast?«
»Verschenkt. Dieses hier ist für dich.«
»Oh, wirklich?«
Ich ging in die Küche, um mir ein Glas zu holen. Irgendwie kam ich mir ziemlich schäbig vor Während ich darauf aus gewesen war, mit einem Idioten zu schlafen, hatte Karl hier in aller Seelenruhe Farben angemischt, um für mich ein Bild zu malen.
Keine zwei Minuten später kam Karl zu mir in die Küche.
»Ich mach Schluß für heute.«
»Klar. Eilt ja auch nicht …«, sagte ich schuldbewußt.
Karl nickte und strich mit dem Fingerrücken über mein Gesicht. Die Geste rührte mich so, daß ich mich noch elender fühlte und fast zu weinen anfing. Bevor das passierte, drehte ich mich schnell weg und lief mit der Begründung, Zähne putzen zu wollen, ins Bad.
Wieder kam Karl hinterher. Das war sonderbar. Während ich unkoordiniert auf meinen Zähnen herumwienerte, drückte Karl mir einen Kuß auf den Nacken.
Große Scheiße. Hoffentlich roch er nichts. Oskar hatte bestimmt seine Geruchsmarke an mir hinterlassen. Aber Karl schien nichts zu bemerken. Im Gegenteil: Er wurde derart scharf, daß er mich kaum meine Zähne zu Ende putzen ließ und mich in sein Schlafzimmer zog.
Ich wußte nicht, was ich fühlen und denken sollte. Also ließ ich einfach geschehen, was wohl geschehen mußte, und dann war ich doch ziemlich glücklich, weil Karl mir das gab, was Oskar mir versagt hatte.
*
Mit Karl war wieder alles okay. Er lachte mit mir, erzählte mir vertrauliche Anekdoten aus seiner anfänglichen Synchronzeit und ließ es sich auch nicht nehmen, Messerschmidt in aller Ausführlichkeit zu denunzieren. Nicht nur, daß der Schweinehund unter seinem Namen Verwandte, Freunde und Gespielinnen die Bücher texten ließ, nein, er kassierte dafür auch noch fette Provisionen und verdonnerte seine Sklaven zum Stillschweigen.
»Und so ein Schwein willst du auch werden?«
»Die ganze Branche besteht aus Gaunern und Verbrechern. Du arbeitest auch für sie. Hast du das vergessen?«
»Nein. Aber wenn man ganz unten ist, bekommt man kaum die Möglichkeit, selbst ein Schwein zu sein.«
Noch während ich den Satz sprach, dachte ich, gut, eigentlichbist du auch ein Schwein, wenn auch auf etwas andere Art, und wurde prompt rot.
Karl bemerkte das jedoch nicht und schloß mich in seine Arme. »Glaubst du im Ernst, ich würde zu einem Messerschmidt mutieren?«
Nein, das glaubte ich nicht. Und ich glaubte auch nicht, daß es mir einer meiner Männer noch mal recht machen konnte. Immer fehlte irgend etwas. Mal wurde ich nicht begehrt, mal begehrte ich nicht, und was war mit dieser merkwürdigen Sache namens Leidenschaft, die sich bei Adriano und mir ganz von selbst eingestellt hatte? Auf einmal freute ich mich schrecklich
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