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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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desinteressiert am Sommer und dem ganzen Rest. »Vermisst du sie sehr?«
    »Schon.«
    »Es tut mir so leid für dich.«
    Langes Schweigen. »Weißt du, das Komische ist, dass ich sie vorher auch schon vermisst habe. Ich hab sie geliebt wie verrückt, aber unsere Beziehung war im Eimer. Da war nichts mehr zu machen. Ich wollte weg von ihr.«
    Marit kann ihr Erstaunen kaum verhehlen. Von jemandem, der sich jahrelang mit dem Ruf eines hoffnungslosen Verlierers herumschlagen musste, hätte sie erwartet, ein Mädchen wie Zoé um jeden Preis halten zu wollen. Ihr Bruder hat wirklich einen Hang zum gesellschaftlichen Selbstmord. »Warum wolltest du dich trennen, obwohl du sie liebtest?«
    »Weil ich keine Lust hatte, mich zugrunde richten zu lassen. Ich hab so schon genug Probleme am Hals.«
    »Was hat sie denn so Schlimmes getan?«
    Ansgar winkt ab. »Das ist jetzt alles nicht mehr wichtig.«
    Natürlich ist das wichtig, will Marit rufen, das musst du der Polizei erzählen, damit sie aufhören, dich zu verdächtigen. Doch je länger sie darüber nachdenkt, desto unsicherer ist sie, ob eine Aussage über seinen Wunsch, die Beziehung zu beenden, ihn ent- oder belasten würde. Anscheinend macht er sich diese Gedanken nicht. Jedenfalls gibt er sich wenig beeindruckt davon, im Zentrum der Ermittlungen zu stehen.
    Das Bier ist leer, die Zigarette geraucht. Ansgar nimmt Marit die Flasche aus der Hand und lässt den Stummel hineinfallen.
    »Soll ich dir noch eins holen?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Wenn ich mehr trinke, bin ich gleich wieder besoffen«, sagt Marit und Ansgar lacht, wird aber sofort wieder ernst.
    »Tu mir einen Gefallen. Bleib, wie du bist. Lass dich von dieser Sache mit Zoé nicht mehr so fertigmachen. Das ist echt nicht deine Baustelle. Mama und Papa haben momentan so viel Stress meinetwegen, da wäre es gut, wenn du irgendwie in der Spur bleiben könntest. Damit nicht alles auf einmal den Bach runtergeht. Du bist die gute Tochter, vergiss das nicht.«
    Wie er das sagt, klingt er ungeheuer erwachsen, als wäre er der Ältere und hätte das Leben bereits viel mehr durchschaut als sie. Nicht zu fassen, wie sehr sie ihn unterschätzt hat. Andererseits: Was nützt ihm das? Marit überlegt, warum er sich nicht einfach ändert, wenn er doch weiß, wie viel Kummer er den Eltern bereitet, bis sie begreift, dass er genauso wenig aus seiner Haut kann wie ihr Vater, wenn die beiden sich in ihren Konflikten verlieren – und dass er womöglich selbst nicht sonderlich glücklich darüber ist, wie sich ihr Verhältnis entwickelt hat. Seine Familie bedeutet ihm wahrscheinlich mehr, als er zugibt. Sonst wäre es ihm ja gleich, wie Marit sich verhält. Die gute Tochter – besten Dank. Zwar hat sie sich selbst gelegentlich so bezeichnet, doch nun kommt es ihr vor, als hätte Ansgar ihr soeben ein heiliges Erbstück untergemogelt. Ein magisches Schwert, mit dem sie künftig die Feinde der Familie Pauli in Schach halten muss, obgleich es eigentlich viel zu schwer für sie ist.
    »Du machst es dir ja ganz schön einfach«, sagt sie.
    »Red keinen Scheiß. Du willst bestimmt nicht mit mir tauschen.«
    »Du ja auch nicht mit mir.«
    Bei jeder anderen Gelegenheit wären sie spätestens jetzt getrennt ihrer Wege gegangen, viel zu störrisch, um sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen. Diesmal nicht. In gewisser Weise haben sie beide recht, und das wissen sie.
    Sie sitzen Seite an Seite. Es wetterleuchtet immerfort. Ansgar sagt, aus Zoé hätte eine große Künstlerin werden können, was Marit als Beweis dafür ansieht, wie sehr er sie mochte. Er hätte ihr niemals etwas getan.
    Als Marit müde wird, lehnt sie den Kopf an die Schulter ihres Bruders und schließt die Augen.
    Sie wacht auf, weil sie fröstelt. Zwar hat es sich nicht wirklich abgekühlt, doch die Feuchtigkeit macht es ungemütlich. Morgendämmerung. Eine Welt ohne Farben. Der matte Schein verpasst dem Garten ein trübseliges Antlitz. Die Vögel stört das nicht, sie singen wie jeden Tag. Auch Möwen sind zu hören. Scheißmöwen.
    Marit streckt sich und stellt fest, dass sie allein ist. Ansgar ist sicher schon vor Stunden reingegangen. Immerhin: Er hat sie zugedeckt, welch eine fürsorgliche Geste. Mit seiner grauen Kapuzenjacke, die ihm viel zu groß ist und ihres Wissens von einem dubiosen Flohmarktstand stammt. Noch netter wäre es gewesen, hätte er sie geweckt. Dann läge sie jetzt in ihrem warmen Bett und hätte nicht so einen verspannten Nacken. Ihre

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