Luftkurmord
Kontakt gehabt, aber ich habe mich immer
gefreut, wenn ich sie gesehen habe. Sie war so süß. Das niedlichste Kind
überhaupt. Früher. Aber in letzter Zeit meldet sie sich gar nicht mehr bei
mir.« Sie machte eine Pause. »Ach, vielleicht ist es ganz normal für einen
Teenager, sich so zu verhalten. Vielleicht ist Andrea auch überfordert und
kommt nicht mehr mit ihr zurecht. Ich weiß es nicht.« Sie seufzte. »Ich finde
es schade. Sehr.«
Sie beugte sich auf
dem Stuhl vor, umarmte sich selbst und rieb mit beiden Händen über ihre
Oberarme. »Frank und ich mögen Henrike sehr und hätten gerne öfter Kontakt,
aber … Ich kann sie ja nicht zwingen.« Sie stand auf, strich sich ihre kurzen
Haare glatt und zauberte wieder ein Lächeln auf ihre Lippen. »Aber nun geh
ruhig, Ina.« Sie straffte den Rücken. »Wir werden das schon hinbekommen, wir
zwei, ohne uns die Köpfe einzuschlagen Und deinen Kater werden wir auch
hätscheln, keine Sorge.«
***
Kai Rokke parkte
sein Wohnmobil vor der Polizeiwache in Schleiden. Der Kauf einer neuen Hose und
eines neuen Hemdes hatte sich länger hingezogen als erwartet. Nicht weil er
nichts gefunden hatte, was ihm gepasst hätte, sondern weil er lange überlegt
hatte, wie er Judith am besten gegenübertreten sollte. Schließlich hatte ihn
der geduldige Verkäufer in dem Bekleidungsgeschäft in der Dreiborner Straße zu
einer Jeans und einem weißen Leinenhemd überredet, in dem er sich jetzt
erstaunlich wohlfühlte. Er stieg aus, überquerte mit langen Schritten den
Parkplatz und stieg die wenigen Stufen zum Eingang hoch.
»Guten Morgen. Ich
möchte bitte zu Judith Bleuler«, sagte er zu dem jungen Polizisten, der im
Empfangsbereich der Wache saß und ihn erwartungsvoll ansah, als er den Raum durch
die offene Glastür betrat. Der Polizist ging zu dem vorderen Schreibtisch, nahm
einen Telefonhörer ab und nickte ihm freundlich zu.
»Ich melde Sie eben
an. In welcher Angelegenheit möchten Sie Frau Bleuler sprechen?«
In einer privaten
Angelegenheit, wäre ihm beinahe herausgerutscht, aber er konnte sich
rechtzeitig bremsen. »In einer Zeugensache. Ich muss ihr noch etwas Wichtiges
zu der toten Frau vom Gemünder Wehr sagen.«
Der Polizist hatte
jetzt allem Anschein nach einen Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung,
denn er redete, nickte und schaute ihn dabei weiterhin freundlich an.
»Sie werden jetzt
gleich abgeholt«, sagte er, als er wieder aufgelegt hatte. »Bitte nehmen Sie
kurz Platz.« Er wies auf die beiden Stühle, die im Eingangsbereich standen und
wandte sich wieder den Unterlagen zu, die er bei Kai Rokkes Eintreffen zur
Seite gelegt hatte.
Kai Rokke setzte
sich, wartete und überlegte, wie er beginnen sollte. Dass er gerne warten
würde, bis dieser Fall erledigt und sie dann nicht mehr befangen wäre? Dass es
ihm nichts ausmachen würde, sie heimlich zu treffen und niemandem etwas von
ihnen zu sagen? Dass er für den Anfang einfach gerne einmal mit ihr essen gehen
würde? Er schluckte. Nein. Das Risiko war ihm dann doch zu groß. Was, wenn er
dann keinen Hunger bekommen, sondern nur den altbekannten Ekel empfinden würde?
Vielleicht war es fürs Erste das Beste, ihr einen Kinobesuch vorzuschlagen. Er
hatte in der Fußgängerzone den Hinweis auf ein Kino gesehen. Kino war harmlos.
Ins Kino gingen auch Menschen gemeinsam, die nicht zusammen waren. Die nur
Freunde waren, die miteinander sprachen, ohne Hintergedanken.
»Herr Hornbläser?«
Kai Rokke schreckte hoch. Ein Polizist mittleren Alters stand vor ihm und hielt
ihm die Durchgangstür zu den Büros auf. »Hansen ist mein Name. Sie wollten noch
eine Ergänzung zu Ihrer Zeugenaussage machen? Kommen Sie bitte mit mir.«
»Ich wollte zu Frau
Bleuler.« Kai Rokke blieb auf dem Stuhl sitzen.
»Frau Bleuler hat
erst in einer Viertelstunde Dienstbeginn. Ich kann ihre Aussage aufnehmen.« Der
Polizist verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein.
»Kann ich warten?«
Hansen runzelte die
Stirn, sagte aber nichts.
»Es ist auch …«, Kai
Rokke zögerte, weil er nicht wusste, ob er Judith, wenn er nun das Wort
»privat« benutzte, in Schwierigkeiten bringen würde.
»Alles, was Sie in
der Sache zu Protokoll geben möchten, können Sie auch mir sagen.« Hansen
öffnete die Tür etwas weiter.
Kai stand auf, warf
einen Blick auf die Eingangstür und folgte Hansen die Treppe hinauf in den
ersten Stock.
»Oh!«, hörte er eine
Frauenstimme sagen. Er fuhr herum.
»Judith!«
Sie stand, ihre
Dienstmütze in
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