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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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stiegen
aus und gingen zu der Holzstele, die wie ein Totempfahl den Beginn des
Wanderweges kennzeichnete. Allerdings war in diesem Fall kein Indianergesicht
und auch keine Bärenfratze aus dem Holz geschnitzt worden. Hier thronte ein
Rangerhut in luftiger Höhe und bewachte den Eingang. Mein schlechtes Gewissen
rührte sich, als mich der Hinweis auf dem Schild an Steffen erinnerte.
»Kostenlose Rangerführung jeden Sonntag um dreizehn Uhr dreißig«. Wie oft hatte
er schon versucht, mich zu dieser Wanderung zu überreden, und wie oft hatte ich
unter fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Ich holte tief Luft und
konzentrierte mich auf unser Vorhaben. »Sie muss hier irgendwo sein.« Ich
wandte mich nach links und spähte in die Büsche. Judith war bereits auf dem
breiten Pfad vorangegangen.
    »Da ist sie!«, rief
sie leise und ging schneller. Einige Meter vor uns, versteckt zwischen den
Bäumen, stand die Hütte in zehn Metern Entfernung. Wenn man sie nicht suchte,
fiel sie gar nicht auf.
    Das Holzhaus wirkte
unbewohnt. Alle Fensterläden waren geschlossen, der Riegel vor der Eingangstür
vorgeschoben und mit einem Vorhängeschloss gesichert. Wir blieben hinter den
Baumstämmen in Deckung und näherten uns langsam. Alles blieb still. Ich
wünschte, ich hätte meine Waffe dabeigehabt, aber die lag sicher verwahrt, seit
ich mich vor meinem Besuch im Altenheim umgezogen hatte. Judith war zwar in
Uniform und bewaffnet, aber das Risiko, sie zu gefährden, war zu groß.
    »Was machen Sie denn
da?« Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Judith erstarrte einige Meter von mir
entfernt in ihrer Bewegung. Ein Wanderer hatte sich breitbeinig am Wegesrand
positioniert und drohte uns mit seinem Wanderstock. »Das Verlassen der Wege ist
streng untersagt!«
    Ich überlegte nur
kurz, drehte mich um und ging auf ihn zu. Ihn zu ignorieren hätte keinen Sinn
gemacht, er würde weiter darauf bestehen, uns zur Ordnung zu rufen. Ich kannte
solche Leute zu Genüge.
    »Polizei«, begrüßte
ich ihn knapp und mit leiser Stimme. »Bitte gehen Sie weiter, und gefährden Sie
unseren Einsatz nicht.«
    »Werden Sie mal
nicht unverschämt hier, junge Frau! Polizei, dass ich nicht lache. So sehen Sie
aber gar nicht aus.« Er musterte mich, und ich erkannte an seiner Miene, dass
meine alte Jeans und das T-Shirt mit dem Logo der Eifelpunkband »JupiterJones«,
das ich achtlos aus meinem Wäschehaufen gefischt hatte, keinen
respekteinflößenden Eindruck auf ihn machten.
    »Die Kollegin hat
Sie aufgefordert weiterzugehen.« Judith trat auf den Weg und zupfte ihre
Uniform gerade. Sofort veränderte sich die Haltung des Mannes. Von der
Überheblichkeit, die er mir gegenüber an den Tag gelegt hatte, blieb nichts
übrig. Obwohl Judith jünger war als ich und seine Enkelin hätte sein können,
reagierte er auf die Uniform. Er nickte und ging weiter, drehte sich auf dem
Weg aber immer wieder um.
    »Dank ihm ist jeder,
egal wer es auch sein mag, gewarnt, dass wir kommen«, seufzte Judith.
    »Trotzdem müssen wir
vorsichtig sein.« Ich ging mit großen Schritten auf die Hütte zu, als Judith
mich einholte und auf die Tür zeigte.
    »Das Vorhängeschloss
ist offen. Siehst du das?«
    Ich blinzelte,
konnte aber auf die Entfernung nicht erkennen, ob sie recht hatte.
    »Sollen wir doch
Verstärkung anfordern?«
    »Nein. Bleib du
hier, Judith. Ich gehe jetzt zur Hütte und sehe nach. Vorsichtig«, betonte ich,
als ich ihren zweifelnden Blick sah, und grinste.
    Langsam arbeitete
ich mich in der spärlichen Deckung der Bäume bis zur Hütte vor. Außer den
krakeelenden Vögeln und dem Rauschen der Buchenblätter über mir blieb alles
still.
    Die Tür war
verschlossen, aber Judith hatte richtig gesehen. Das Vorhängeschloss hing offen
vor dem Türriegel. Jemand musste es von außen angebracht und nicht richtig
geschlossen haben. Oder war bei dem Versuch, es zu öffnen, unterbrochen worden.
Wie auch immer. Das Schloss war von außen angebracht. Nicht von innen. Kein
Versteck. Ein Gefängnis. Und der Wärter nicht da. Ich löste das Schloss, schob
den Riegel zurück und öffnete die Tür. Ein Geruch nach Schweiß, Angst, Blut und
etwas, das ich nicht zuordnen konnte, stand vor mir wie eine Mauer. Im ersten
Moment erkannte ich nichts im dunklen Inneren der Hütte. Dann brüllte ich nach
Judith und zerrte mein Handy hervor.

ZEHN
    Sie hatte gedacht, es wäre vorbei. Hatte es vergessen und
sich nur manchmal erinnert, wenn sie nachts wach wurde und der Geruch den

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