Luftschlösser
Fähnchen mit der Aufschrift Perry’s Farm. Aha, was sagte der Brief dazu? ‘Dein Mitbewohner sollte eigentlich ein Hase werden, hat meinen Vorstellungen aber nicht wirklich gehorcht. Ich finde, er sieht eher wie ein Bär aus. Oder wie ein Schweinchen. Du hast also freie Auswahl bei der Rasse deines neuen Freundes, aber sei bitte nett zu ihm, denn er ist in einsamen Nächten ein gutes Trostpflaster.’ Unglaublich, sie nähte auch noch selbst! Charles schnüffelte an seinem neuen Kameraden. Wenn man sehr viel Fantasie besaß, roch der kleine Kerl sogar ein wenig nach Sephi. Ob er ein guter Ersatz für seine Erschafferin sein konnte, würde er noch unter Beweis stellen müssen.
Auf dem Nachttisch lagen drei Bücher bereit - ein Krimi aus den Bestsellerlisten, ein Erotikroman und ein Klassiker, die gesammelten Geschichten von Edgar Allan Poe. Charles fand es erstaunlich, dass Sephi nicht einmal diese kleinen Details vergessen hatte.
‘Falls du deinen Schrank suchst, musst du die Schiebetüren an der Wand rechts der Zimmertür öffnen’ , wies der Brief ihn an. Begehbar. Und dieser Duft nach Holz! Wahrscheinlich würde er Stunden in diesem Ding zubringen. Er drehte sich zu den Kissen, die unordentlich in einer Ecke auf dem Boden lagen. Der Haufen hatte etwas von einem orientalischen Lager. Sollte es auch, wie Sephi in ihrem Schreiben mitteilte. ‘Wenn du mal deine Ruhe haben möchtest, ohne gleich dein Monsterbett durcheinander zu bringen, kannst du es dir auf diesen Kissen gemütlich machen. Ich dachte dabei an Destouches’ Bild von Sheherazade, die dem Sultan ihre Geschichten aus 1001 Nacht erzählt.’ Charles Manning, der sich auf bunten Chintzkissen lümmelte und dem Müßiggang frönte. Diese Vorstellung amüsierte ihn.
‘Destouches bringt mich zu den Bildern, die ich für dein Apartment ausgewählt habe. Mein Galerist hat mich für meine Wahl gescholten, aber ich hoffe dennoch, dass ein paar Werke dabei sind, mit denen du dich anfreunden kannst’ , hieß es in dem Brief weiter. ‘In deinem Schlafzimmer findest du zur Linken Johann Heinrich Füsslis ‘ Nachtmahr’ in der Version von 1781. Trotz des Namens wünsche dir keine Albträume. Das Bild in der Mitte ist von Franz von Stuck, ‘ Nymphenraub’ von ca. 1920. Ich dachte, das passt gut in das Schlafzimmer eines Mannes. Genau wie ‘Jupiter und Antiope (Satyr und schlafende Nymphe)’ von Antoine Watteau, gemalt um 1715.’ Auf den ersten Blick sahen alle drei, Charles zuvor unbekannten, Gemälde sehr interessant aus. Ob er sie auch für schön halten konnte, würde sich wohl erst nach eingehender Betrachtung feststellen lassen.
Er trat hinaus in den Flur, denn der Brief wies auf die nächsten Bilder hin. ‘Im Flur findest du ‘ Erste Schritte’ (1890) von Vincent van Gogh, ein Bild, das ich wegen seiner freundlichen Farben gewählt habe. Du kannst es dir hier in der Stadt im Metropolitan Museum of Art im Original anschauen. Weiterhin ein Bild, das man auf sich wirken lassen muss: ‘Amme mit Kind’ von Frans Hals, ca. 1620.’ Mit diesen beiden war er ganz und gar nicht einverstanden. Was sollte er mit fröhlich lächelnden Kinderfrauen und Paaren, die ihrem Knirps das Laufen beibrachten? Die würde er baldmöglichst wieder abhängen.
Im Arbeitszimmer musste er den Blick erst von seinem sexy Topmodel lösen, um das Bild an der anderen Wand gebührend zu würdigen. Was hatte sie dazu geschrieben? ‘Damit du dir mit den leicht bekleideten Damen nicht die Augen verdirbst, habe ich zum Ausgleich ‘ Ausbruch des Vesuvs’ von Johan Christian Claussen Dahl ausgesucht. Gemalt wurde es 1826.’ Eine feurige Angelegenheit, dieses Bild. Wahrscheinlich wusste Sephi, dass man ewig auf dieses Gemälde starren konnte, ohne dessen überdrüssig zu werden.
Im oberen Gästezimmer hingen zwei Landschaftsbilder, die Charles vom Stil her bekannt vorkamen. ‘ Brücke und Mühle von Moret im Sommer’ von 1888 und ‘Kornfeld’ von 1873, beide von Alfred Sisley.’ Aha, deshalb. Sisley. Sehr freundlich und einladend.
‘An der Wand entlang der Treppe ins Obergeschoss findest du ‘ The Great Fall of the Reichenbach’ von Joseph Mallord William Turner aus dem Jahr 1804.’ Dieses Bild war Charles in seiner Eile vorher schlicht und einfach entgangen. Er kannte auch die anderen Variationen des Gemäldes, mochte Turners Malerei sehr und freute sich, dass Sephi damit voll und ganz seinen Geschmack getroffen hatte.
Charles betrat zum zweiten Mal das
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