Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Gedanken.
Die Veränderung hat bereits begonnen , kam
prompt die Antwort. Wir haben nicht mehr viel Zeit.
Ich
begriff nur teilweise, was die körperlose Stimme mir damit sagen wollte, aber
eines begriff ich sehr gut: Solange die Realität instabil war – denn genau das
schien das Problem zu sein, so absurd es auch klingen mochte –, tat ich besser
daran, nicht allzu hoch zu fliegen. Ich hatte wenig Lust, als unappetitliche
Masse auf dem Asphalt zu enden. Daher legte ich meine Schwingen an, um mich in
die Tiefe zu schrauben und so meinen Abstand zum Erdboden zu verringern. Erst,
als ich mich auf einer Höhe von etwa zehn Metern befand, brachte ich mich
wieder in eine waagrechte Flugposition, um in gleichmäßiger Geschwindigkeit
über die Ebene zu gleiten.
Was
ich soeben wahrgenommen hatte, beunruhigte mich zutiefst. Es war dasselbe
Gefühl wie damals, als ich inmitten der zu pechschwarzen Schlacke verbrannten
Ruinen der Schule gestanden hatte, doch diesmal war es nicht auf einen
bestimmten Ort begrenzt, sondern spann die gesamte Welt in seine klebrigen
Fäden – und alles, was darauf kreuchte und fleuchte.
Wie
zur Bestätigung meiner düsteren Gedanken erscholl in just diesem Augenblick ein
zorniger Aufschrei, gefolgt von dem ohrenbetäubenden Krachen, mit dem eine Tür
mit aller Wucht ins Schloss geworfen wurde.
»Du
bist wahnsinnig!«, brüllte eine zweite Stimme, allerdings weniger aus Wut denn
aus an Panik grenzender Angst. »Komplett irre! Komm endlich wieder zur Besinnung,
verdammt, bevor noch jemand zu Schaden kommt!«
Neugierig
auf das, was nun geschehen würde, hielt ich nach der Quelle des Lärmes
Ausschau. In einigen Dutzend Metern Entfernung entdeckte ich sie, und ich
zögerte nicht, mich mit einigen kraftvollen Flügelschlägen zu nähern. Flatternd
ließ ich mich auf der Stange eines Wetterhahns nieder, um das Geschehen
unbemerkt beobachten zu können.
Diesmal
erhob die Stimme in meinem Kopf keinen Einwand, als ich von meiner vorbestimmten
Route abwich.
Vor
dem Reihenhäuschen, das sich genau gegenüber von dem befand, auf dessen Dach
ich gelandet war, standen zwei Männer, die sich mit hochroten Gesichtern und
heftig gestikulierend Schimpfwörter an den Kopf warfen, ein Bild, das in einer wohlhabenden
Gegend wie dieser vielleicht selten, aber keineswegs ungewöhnlich war – sah man
einmal von der gut handlangen Messerklinge ab, die in der Hand des einen Mannes
aufblitzte.
»Nun
werd´ doch endlich vernünftig, Georg«, beschwor der messerlose Mann seinen
bewaffneten Kontrahenten, dem er gerade eben noch jede Spur von Verstand abgesprochen
hatte. »Was ist nur in dich gefahren?«
Georg
lachte schrill, ein Lachen ohne Humor und kälter als Eis. Mit einer fuchtelnden
Bewegung deutete er mit der Messerspitze auf sein Gegenüber, eine Geste, die
zwar nichts Drohendes an sich hatte, vielleicht aber gerade deswegen umso
wirkungsvoller war.
»Was
in mich gefahren ist?«, wiederholte der Messermann mit einem irren Kichern in
der Stimme. Seine Augen rollten dabei in den Höhlen wie feuchte Golfbälle, und
ein weißer Speichelfaden lief an seinem Kinn hinab. »In mich? O, das
sieht dir ähnlich, du elender Hundesohn! Immer suchst du die Schuld bei den
anderen. Das macht dir Spaß, nicht wahr, gibt dir ein schönes, warmes Gefühl in
der Brust.« Er gackerte. »Verdammt, ich werde dafür sorgen, dass dir niemals
wieder warm wird! Ich presse dir den letzten Tropfen Blut aus, so wie du es mit
meinem Herzen gemacht hast, widerlicher Scheißkerl!«
Der
Messerlose zuckte unter den Worten des anderen zusammen wie unter einem Hieb,
wich aber keineswegs zurück. Sein Blick hatte sich an dem aufgeklappten
Taschenmesser, mit dem Georg nach wie vor wie toll herumfuchtelte, geradezu
festgesaugt, doch es schien weniger die Angst vor der Waffe selbst zu sein, die
ihn quälte, als die Furcht vor dem Zorn des anderen.
»Ich
bitte dich, mein Freund«, sagte er mit bemüht ruhiger Stimme. »Man kann doch
über alles reden.«
» Reden ! «, keuchte Georg fassungslos und tat einen
einzelnen, zitternden Schritt auf sein Gegenüber zu. »Es gibt nichts mehr zu reden!
Es hat sich ausgeredet! Dafür ist es zu spät, viel zu spät. Oder wolltest du
etwa mit mir reden, bevor du mit Tanja zusammen in die Kiste gesprungen bist?
Wolltest du dich unterhalten, als du sie gefickt hast wie ein Ochse, oder auch
nur denken ? Sag mal, willst du
mich verarschen? Verarschst du mich, Frank, hm? Ich hoffe, du hast es
wenigstens
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