Lustakkorde - Ostfrieslandkrimi (German Edition)
Raffael tot war, hatte er kurz
durch die Zähne gepfiffen und dann gesagt: „Sei froh, dass du diesen geilen
Sack los bist.“ Und er hatte recht. Durch Raffael hatte sich vieles in ihrem
Leben verändert. Durch seinen Tod noch mehr, so, als habe er ein Schalter in
ihrem Gehirn umgelegt. Und sie hatte wahrhaftig das Gefühl, dass diese
Veränderungen nicht zu ihrem Schaden sein würden.
10
„Die heilige Magdalena?“ Jette
Büttner verzog angewidert das Gesicht. „Klar kenne ich die. Jeder kennt die.
Und keiner legt besonders viel Wert darauf.“
„Sie ist also nicht besonders
beliebt. Das dachte ich mir.“ Zufrieden damit, dass er in die richtige Richtung
analysiert hatte, rieb sich Hauptkommissar David Büttner seinen umfangreichen
Bauch. Soeben hatte er es sich in seinem Fernsehsessel bequem gemacht, um sich eine
Wiederholung des Münsteraner Tatorts anzusehen. Seine Frau war mit einer
Freundin ins Kino gegangen und würde erst spät zurückkommen. Beim Anblick
seiner siebzehnjährigen Tochter Jette, die sich mit angezogenen Knien ins Sofa
gekauert hatte und auf ihrem iPhone herumdaddelte, als gelte es den
Weltuntergang zu verhindern, war ihm eingefallen, dass er sie nach Magdalena
Fehnkamp befragen wollte.
„Hat sie irgendwelche Freunde?“
„Nö.“
„Ist sie eine gute Schülerin?“
„Streberin.“
„Aha. Wusstest du, dass sie
Klavier spielt?“
„Nö.“
„Hast du schon mal was von einem
gewissen Raffael Winter gehört?“
Erstmals, seit er hier saß ...
nein, falsch, erstmals seit Monaten, wie er sich ehrlich eingestehen musste,
wandte Jette bei dieser Frage ihren Blick vom iPhone ab und sah ihrem Vater
direkt in die Augen. Ob sie ihn erkennen würde, fragte er sich innerlich
schmunzelnd? Schließlich nahm sie ihn in der Regel nur noch wahr, wenn sie Geld
brauchte oder um seine Unterschrift bettelte, die er unter irgendeine verhauene
Klausur setzen sollte, damit ihre Mutter nichts davon mitbekam.
„Sag nicht, die hat bei dem Klavierunterricht gehabt!“ Für Jette schien dies außerhalb ihrer
Vorstellungskraft zu liegen.
„Wieso, was wäre so verwunderlich
daran?“
Während ihr iPhone am laufenden
Band irgendwelche komischen Geräusche von sich gab, sah Jette ihren Vater an,
als sei er soeben mit einem Ufo in ihrem Wohnzimmer gelandet. „Ey, Mann, wo
lebst du denn! Hallo! Raffael Winter!“
„Ja, und?“
Jette sah ihn misstrauisch an.
„Wieso fragst du mich das eigentlich alles?“
„Ein neuer Fall.“
„Ach so.“ Jette wandte sich nach
einem neuerlichen Piepen ihres treuen Begleiters wieder dem iPhone zu. David
Büttner dachte schon, das dies wohl für das nächste halbe Jahr das längste
Gespräch gewesen sein dürfte, das er mit seiner Tochter führte, als sie langsam
und mit offenem Mund wieder zu ihm aufblickte. „Ein neuer Fall?“, war ihr plötzlich
ein Licht aufgegangen. „Du arbeitest bei der Mordkommission“, sagte sie dann stumpf.
„Gut erkannt.“
„Und wieso sind dann Raffael und
Magdalena dein neuer Fall?“
„Weil Raffael Winter tot ist?“,
passte sich Büttner ihrem Tonfall an.
„Nee, jetzt nicht ehrlich, oder?“
Jettes Augen weiteten sich auf Tomatengröße.
„Doch, jetzt ehrlich.“
„Krass.“ Nachdem sie in
Windeseile ein paar SMS verschickt hatte, und im Nullkommanichts dutzendfaches
Gedudel die Antworten ankündigten, fragte Jette: „Und Magdalena hat ihn
umgebracht, oder was?“
„Wohl eher nicht. Sie hat ihn
gefunden. Das“, fügte er in warnendem Tonfall schnell hinzu, als er sah, dass
seine Tochter eine weitere SMS versenden wollte, „behältst du bitte für dich.“
„Warum erzählst du mir es dann denn
erst“, maulte sie ungehalten und sah bedauernd auf ihr iPhone.
„Ich befrage dich als Zeugin.“
„Mich?“, rief Jette entsetzt aus und
schlug die Hand vor die Brust. „Aber ich war doch gar nicht dabei!“
„Das meine ich auch nicht. Aber
du kennst die beiden. Was war denn dieser Raffael Winter für ein Typ?“
Zu seiner Verwunderung fing Jette
lauthals an zu lachen. „Ey, Paps, du lebst echt nicht in dieser Welt, oder?“
„Und was, bitte schön, veranlasst
dich bei dieser Frage zu Heiterkeitsausbrüchen?“, fragte er beleidigt.
„Raffael, Paps, ist der große
Bruder von Ben“, erwiderte Jette in einem Tonfall, als hielte sie ihren Vater
für grenzdebil.
„Und?“
„Und Ben bringt uns jeden Tag
eine Kopie von Raffaels Strichliste mit. Ist total krass.“
„Welche Strichliste? Und was ist
total
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