Lustakkorde - Ostfrieslandkrimi (German Edition)
krass?“
„Ey, Mann, der vögelt jeden Tag
seine sämtlichen Schüler durch!“
Büttner zuckte zusammen. Solche
Ausdrücke hätte er aus dem Mund seiner erst siebzehnjährigen Tochter lieber
nicht gehört. „Was heißt das?“
„Du weißt nicht, was Vögeln
ist?“, fragte sie baff.
Büttner stieß vernehmbar die Luft
aus. „Das meine ich nicht. Was ist das für eine Strichliste?“
„Sag ich doch gerade: Der
vernascht alles, was auf seiner Klavierbank sitzt.“
„Woher willst du das wissen?“,
wurde Büttner hellhörig.
„Weiß doch jeder. Was meinst du,
wie viel Schüler auf unserer Schule mit dem schon ihr Vergnügen hatten.“
„Schülerinnen, meinst du.“
„Nee. Raffael macht da keinen
Unterschied. Der nimmt auch Jungs.“
„Der nimmt auch ...“, sagte
Büttner fassungslos. Wo war er denn da hineingeraten? „Missbraucht er sie?“ Das
wäre allerdings ein gutes Mordmotiv.
„Nee. Quatsch. Die machen alle
freiwillig mit. Sind auch alle volljährig. Der muss irgendwie ne ziemliche
Granate sein.“
„Du hast aber noch nicht mit ihm
...“, beschlich den Kommissar eine plötzliche Ahnung, aber Jette verdrehte nur
die Augen: „Nehme ich Klavierunterricht, oder was?“
„Weiß Magdalena Fehnkamp davon?“
„Keine Ahnung. Mit der spreche
ich nicht.“
„Vielleicht nimmt sie an, dass
sie die Einzige ... Eifersucht“, murmelte Büttner leise vor sich hin, aber
seine Tochter hatte ein gutes Gehör – zumindest, wenn es drauf ankam. „Nun sag
nicht, dass sie und Raffael, nee, nie im Leben!“ rief sie mit leuchtenden
Augen.
„Das geht dich nichts an“, sagte
Büttner unwirsch. Das hätte er auf keinen Fall sagen dürfen, ärgerte er sich
über sich selbst.
„Boah.“ So schnell, wie Jette
tippte, hatte Büttner keine Chance, diese Nachricht an ihre Freunde noch zu
verhindern.
„Wenn du ...“, begann er seine
Tochter zurechtzuweisen, machte dann aber eine wegwerfende Handbewegung. Er
konnte jetzt sowieso nicht mehr verhindern, dass diese Meldung in
Lichtgeschwindigkeit den Globus umrundete.
„Mann, ey, die heilige Magdalena
und der Winter. Total krass. Und wir alle dachten, die wäre nur so’n Opfer!“
Jette strahlte wie ein Kleinkind unter dem Weihnachtsbaum.
„Jette, bitte, nun macht
Magdalena bloß nicht das Leben noch schwerer, als sie es sowieso schon hat.“
„Quatsch“, winkte Jette ab, „Adrian
sagte die Tage schon, dass sie gar nicht so uncool ist, wie alle glauben. Jetzt
weiß ich auch, was er damit gemeint hat. Echt krass!“
„Wer ist Adrian?“
„Ein Kumpel aus der 13. Hat die
Tage mit Magdalena den ersten Kaffee ihres Lebens getrunken.“
„Mein Gott, bei euch bleibt aber
auch nichts geheim, oder?“
„Nee“, lachte Jette und wedelte
ihrem Vater mit dem iPhone vor dem Gesicht herum, „wie denn auch?“ Und dann tat
sie etwas, wofür David Büttner sie bis ans Ende der Welt und noch weiter
getragen hätte: Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Das hatte sie
seit bestimmt hundert Jahren nicht mehr getan! Selig grunzend lehnte er sich in
seinem Fernsehsessel zurück. Den Tatort hatte er zu einem Großteil verpasst.
11
Trotz des eisigen Wetters saß
Katharina Eckstein am frühen Morgen auf ihrer Terrasse, rauchte genüsslich eine
Zigarette und trank einen Kognak. Ihren Blick hatte sie auf den Emder Schützenplatz
gerichtet, wo sich ein paar Jugendliche vor dem Unterricht einen Spaß daraus
machten, sich mit Schneebällen zu bewerfen. Der Winter machte wieder ernst.
Nachdem alle nach einem recht milden Februarbeginn gehofft hatten, dass nun
bald der Frühling einkehren würde, machte ihnen dieser erneute Wintereinbruch
mit seinem schneidenden Wind und dem dichten Schneetreiben einen Strich durch
die Rechnung. Mit mürrischen Gesichtern sah sie die Nachbarn warm eingepackt
und mit Schneeschaufeln bewaffnet vor die Haustür treten, um ihr Tagewerk mit
der Befreiung der Bürgersteige von den in der Nacht gefallenen weißen Flocken zu
beginnen. Mit noch geringerer Begeisterung machten sie sich danach daran, ihr
Auto auszugraben, nur um – nun vollends schlecht gelaunt – festzustellen, dass
die Türschlösser ihres Gefährts über Nacht eingefroren waren und sie das
Enteisungsmittel sicher und trocken im Handschuhfach aufbewahrten.
Katharina mochte den Winter. Je
dichter die Schneeflocken fielen, desto mehr hatte sie das Gefühl, als würde
die Erde durch sie in einen warmen Mantel gehüllt, der sie vor allem Schlechten
und Bösen
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