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Lustnebel

Lustnebel

Titel: Lustnebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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Alice gelangweilt.
    Rowena richtete sich interessiert auf. „Ihr kanntet Abigail Cockreign?“
    Die Augen der Anwesenden richteten sich auf sie, und betreten durch die plötzliche Aufmerksamkeit räusperte sich Rowena und rührte verlegen in ihrem Tee. Vielleicht waren diese Leute enge Freunde der Witwe gewesen. Sensationslustig zu wirken, käme in diesem Fall nicht sonderlich gut an. „Ich las von dem Raubmord in der Zeitung.“ Sie wandte sich Alice zu: „Habt Ihr nicht erzählt, Ihr kanntet die bedauernswerte Dame persönlich?“
    Alice Cuthbert zuckte mit den Schultern und sah aus dem Fenster. „Wo steckt Wilson nur?“, murmelte sie, ehe sie sich Rowena widmete. „Ja, es war nur eine flüchtige Bekanntschaft. Ihr Tod ist bedauerlich, doch kein Wunder. Allein und vermutlich nachts unterwegs. Das konnte kein gutes Ende nehmen!“
    „Wie könnt Ihr nur so herzlos sein, Alice? Einen solchen Tod hat niemand verdient!“, rief Esther mit erstickter Stimme. „Habt Ihr vergessen, wie oft sie uns in dieser oder ähnlicher Runde Gesellschaft leistete?“
    „Reiß dich zusammen, Esther, was soll Lady Windermere von dir denken, wenn du derartig die Contenance verlierst?“, befahl ihr Mann, reichte ihr aber ein Spitzentaschentuch, mit dem sie sich die Augenwinkel abtupfte.
    „Was ist mit den Bricktons?“, erkundigte sich Mr. Gallagher und durchbrach das unangenehme Schweigen, ehe es sich ausdehnen konnte.
    Frédéric Satchmore verschränkte die Arme vor der Brust. „Tot“, sagte er.
    Esther hob ihren Kopf und sah ihn bestürzt an. „Tot?“, hauchte sie fragend. „Wie?“
    „Mortimer Brickton hat seine Gattin und dann sich selbst erschossen. Mit seinem liebsten Jagdgewehr, wie man sich erzählt.“
    „Aber warum? Ich habe die beiden noch auf dem Ball bei Almack´s getroffen. Sie schienen so glücklich miteinander zu sein“, wandte Annabelle ein. „Sie leisteten uns oft genug Gesellschaft. Ich verstehe das nicht.“ Sie warf Alice einen nervösen Seitenblick zu.
    „Mortimer war berüchtigt für seine jähzornige Art. Es gab Tage, an denen brüllte er Henriette und die Dienstboten gleichermaßen wegen Nichtigkeiten an. Vielleicht fiel an diesem Tag etwas vor, das schwerer wog als die falsche Krawatte zum Hemd“, spottete Sir Frédéric.
    Keiner der Anwesenden widersprach. Im betretenen Schweigen schwangen Schuldgefühle. Verwirrt überlegte Rowena, weshalb. Wussten Alice und ihre Gäste mehr darüber? Kannten sie die Gründe für den Ausraster Mortimers? Ein ängstliches Kribbeln stieg ihren Nacken empor. Nicht nur, dass sie sich unwillkommen fühlte, über dem Salon schien förmlich eine düstere Wolke aus Verschwörung und Misstrauen zu hängen. Rowena trank ihren Tee und erhob sich. Obwohl sie nur zu gerne weitergeforscht hätte, vertraute sie ihrem Unbehagen, das von Minute zu Minute stärker wurde.
    „Ich breche wieder auf. Der Fußmarsch zurück nach Barnard Hall erwies sich das letzte Mal als recht weit.“ Sie lächelte in die Runde, ehe sie sich Alice zuwandte. „Alice, vielen Dank für den Tee und die Gastfreundschaft.“
    „Liebste Rowena, Ihr wollt allen Ernstes gehen?“
    Rowena machte eine entsprechende Geste. „Ihr wart so großzügig, mir Tee anzubieten, obwohl ich Eure Runde störte. Ich werde gehen“, erklärte Rowena.
    Alice ging zur Salontür und ließ Rowena vorausgehen, ehe sie folgte. Alice brachte ihr den Mantel und half ihr beim Anziehen.
    Die Blondine verabschiedete Rowena herzlich, doch Rowena fühlte eine gewisse Ungeduld in der anderen. Als die Tür hinter ihr zufiel, verharrte sie einen Moment. Zerstreut ging sie um das Haus herum, den Weg über die Rückseite zu wählen, erschien ihr auch dieses Mal als die bessere Alternative.
    Sie kam an den Nachtschattengewächsen mit den trompetenförmigen Blüten vorbei. In der Spätnachmittagssonne leuchteten die Farben, und einzelne Wassertropfen glitzerten auf den Büschen. Ein süßer, honigähnlicher Duft wehte zu Rowena, die kühle Brise, die den Geruch herantrug, ließ sie frösteln, und sie zog den Mantel enger um sich. Oben auf den Bergspitzen stieg dichter weißer Nebel empor. Einige Schwaden glitten wie gespreizte Skelettfinger durch die Bäume auf den Gipfeln, und Rowena gruselte sich. Sie riss ihren Blick los und konzentrierte sich auf den Fußpfad. Jemand schien vor Kurzem dort langgekommen zu sein, denn einige der harten Gräser waren geknickt und welkten langsam vor sich hin. Rowena nieste. Sie wollte nach ihrem

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