Lusttropfen (German Edition)
an alles von dieser Reise erinnern und es meinen Freunden präsentieren. Wenn ich einmal alt war, konnte ich meine Fotos immer wieder betrachten und sagen: „Das war der Orientexpress und dort habe ich geschlafen.“
Ich hängte mir die Kamera um den Hals und verließ das Abteil. In den Gängen tummelten sich allerhand Menschen, die durch die geöffneten Fenster ins Freie starrten. Eine kühle Brise streifte mein Gesicht, und ich sog die frische Luft tief in meine Lungen. Ich lief zum Speisewagen, schoss hier und da ein paar Fotos, und suchte mir dann einen ruhigen Platz. Ich bestellte mir einen starken Kaffee mit viel Zucker und ein Stück süßen Kuchen und genoss abermals meine Freiheit. Ich fühlte mich unheimlich weltoffen, als ich mit dem Kellner Worte auf Französisch wechselte. Das ganze Stimmen und Sprachgewirr um mich herum, klang wie Musik in meinen Ohren. Wieder war ich froh, dass ich nicht in meinem miefigen Büro in München hockte. Ich wollte für alle Zeit der Welt Reisen unternehmen und fremde Länder kennenlernen.
Als mein Kaffee gebracht wurde, öffnete sich plötzlich die Abteiltür und sie betrat den Wagon. Die unbekannte Schönheit vom Bahnsteig.
Ihr Auftauchen erhellte den Raum und alle Blicke waren nur auf sie gerichtet. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt ein sonnengelbes, schlichtes Etuikleid, was die Bräune ihrer Haut noch mehr zur Geltung brachte. Ihre kirschrot geschminkten Lippen verzogen sich ein wenig ärgerlich, als sie sich umsah. Es gab keinen freien Tisch mehr. Ihr Blick schweifte durch den Raum und traf auf den meinen. Ich hielt für einen Moment die Luft an. Blitzschnell überlegte ich, ob ich sie nicht einfach zu mir bitten sollte, und bevor der Gedanke ausgereift war, machte ich eine einladende Handbewegung. Sie zögerte einen Moment, doch dann kam sie mit leichten, eleganten Schritten an meinen Tisch. Meine Augen weideten sich an ihrer Erscheinung. Jede ihrer Bewegungen war von einer solchen Grazie, dass sie wie ein zerbrechlicher Schmetterling wirkte.
„Pardon, Monsieur, ist hier noch frei?“, fragte sie mich auf Französisch und ich nickte hingerissen. Ihre Stimme klang rauchig, mit einem leicht heiseren Unterton, was ich ungemein erotisch fand.
In bester Manier erhob ich mich kurz, als sie sich zwischen Sitzbank und Tisch drückte und wartete, bis sie Platz genommen hatte.
„Es ist furchtbar heiß heute, nicht wahr?“, begann ich ein Gespräch. Ich hätte alles getan, um diese Stimme noch einmal zu hören.
„Ja, es ist sehr schwül“, antwortete sie und steckte sich eine Zigarette in die Verlängerung. „Stört es Sie?“, fragte sie höflich und ich verneinte.
Galant nahm ich ihr das Feuerzeug aus der Hand und zündete ihre Zigarette an.
„Danke“, hauchte sie, während sie den blauen Dunst ausblies. „Woher kommen Sie?“, wollte sie wissen.
„Aus München, Deutschland“, gab ich zurück und augenblicklich legte sich ein dunkler Schatten auf ihr hübsches Gesicht.
„Ah, ein Deutscher“, stieß sie hervor.
Was hatte ich auch erwartet? Dass eine Französin vor Freude in die Hände klatscht, wenn sie auf einen Deutschen trifft? Dass die Franzosen nicht gut auf unser Volk zu sprechen waren, konnte ich ihnen nicht verübeln. Mit angewidertem Blick starrte sie aus dem Fenster. Ich seufzte kaum hörbar auf. Da traf ich einmal im Leben auf eine Frau, die mir den Atem raubte, und sie war ausgerechnet aus Frankreich und hasste mich.
„Der Krieg ist lange vorbei“, entfuhr es mir.
„Ja, das ist er“, sagte sie leise, ohne mich anzusehen. „Dennoch ist es schwer zu vergessen.“
Ich nickte zustimmend.
„Aber wir befinden uns weit weg von unserer Heimat, auf neutralem Boden sozusagen. Wir sind zwei Fremde, die zufällig aus Ländern stammen, die sich nicht leiden können. Denken Sie nicht, ich habe eine Chance verdient? Ich bin auf dem Weg in Ihr wundervolles Land, um es kennenzulernen. Ich habe Ihre Sprache gelernt, ich sehe mir Ihre Filme an. Zeugt das nicht davon, dass Sie für mich keine Feindin sind?“, versuchte ich ihre Meinung zu ändern.
Sie senkte den Blick, und es kam mir vor, als würde sie über meine Worte nachdenken.
„Waren Sie an der Front?“, fragte sie leise, und ich schüttelte den Kopf.
„Ich war zu jung. Aber mein Vater ist gefallen. Er war ein einfacher Soldat, Kanonenfutter sozusagen. Er hat Befehle ausgeführt und dafür bezahlt.“
Ein trauriger Ausdruck huschte über ihr Gesicht.
„Meiner auch“, erwiderte
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