Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
das letzte
Forschungsprojekt von Darius gewesen sein? Und wenn ja, wie passte
Seine Eminenz Kardinal Benelli da hinein?
Er dachte über das Opferprofil nach. Darius war vierundsiebzig Jahre alt gewesen, doch er hatte die Konstitution eines Mannes von Ende fünfzig
gehabt. Aufrichtig. Mit der Fähigkeit zur Selbstlosigkeit. Darius liebte die Menschen. Außerdem war er medial hochbegabt, auch wenn Ben nie
dahintergekommen war, welche Gabe sein ehemaliger Mentor eigentlich
besessen hatte. An welchen Forschungsbereichen der Pater im Detail
gearbeitet hatte, war Ben ebenso wenig bekannt. Doch LUKAS war
bisher die einzige Verbindung zwischen Darius und Benelli, zumindest
im Zusammenhang mit dem Lux Domini. Und sowohl Darius als auch
Benelli waren nun tot.
Während Ben weiter durch die lautlose Stille der Villa schlich, durch die dunklen Gänge und Kammern des Untergeschosses, unter denen ein
gewaltiger Keller liegen musste, legte er in Gedanken ein erstes Profil zu dem Kardinal an, obwohl ihm noch einige Daten fehlten.
Benelli war ein kleiner, dicklicher Mann gewesen, völlig untrainiert, aber dennoch agil und sehr intelligent. Wie Darius hatte er ein gewinnendes
Wesen, bei einer hohen emotionalen Intelligenz. Seit wann er Mitglied
beim Lux Domini war, war Ben unbekannt. In jedem Fall war Benelli ein
Kurienkardinal mit einem gewissen Einfluss gewesen. Und wie
Catherine gesagt hatte, besaß er eine ähnliche Aura wie Darius!
Ben blickte sich im Dunkeln um, orientierte sich. Am Ende des dunklen
Flurs führte eine schmale, elegante Marmortreppe in das etwas hellere
Erdgeschoss der Villa. Verborgene Leuchten sorgten dort für indirektes
Licht, das den Raum in ein angenehmes Halbdunkel tauchte. Vorsichtig
schlich er an einer der römischen Statuen vorbei. Wenn er sich nicht
irrte, schritt er gerade durch die Stuckgalerie, die Szenen aus den
Metamorphosen Ovids und ausgesuchte Mythen der Antike darstellte.
Das Gewölbe umfasste etliche Gemälde, unter anderem eine Darstellung
des Narziss, der sein Spiegelbild selbstverliebt im Wasser betrachtete.
Nachdem Ben die Galerie durchquert und zwei weitere prachtvolle
Räume passiert hatte, befand er sich ganz in der Nähe der Bibliothek, die ein gutes Stück hinter der großen Empfangshalle lag. Er dachte noch
einmal über das nach, was Catherine während der Autofahrt gesagt hatte,
dass die Auren von Darius und dem Kardinal wie Zwillingsauren
gewesen seien, etwas, das sie so noch nie zuvor gesehen habe. Dann
fragte er sich, ob Benellis Selbstmordmotiv womöglich in Darius’
Ermordung lag und ob es da einen Zusammenhang gab.
Einen Augenblick blieb Ben unschlüssig stehen. Hatte er gerade ein
Geräusch gehört? Sein Blick tastete sich durch den halbdunklen Gang.
Es war niemand zu sehen, doch was hatte das schon bei all den Nischen,
Türen und Seitengängen zu sagen? Noch einen weiteren Moment hielt er
inne, wartete, lauschte, dann setzte er seinen Weg mit einem flauen
Gefühl im Magen fort. Nein, es gab jetzt kein Zurück mehr. Er hatte
Benellis Arbeitszimmer hinter der Bibliothek fast erreicht.
Die Tür zu dem Raum stand offen. Er betrachtete die Regale, geschützt
hinter Glas, die bis zu zwei Stockwerke hoch waren. Für eine Sekunde
glaubte er aus dem Augenwinkel etwas wahrzunehmen, ein Funkeln oder
eine Spiegelung. Doch als er die Stelle direkt fixierte, waren da nur die Goldrücken der dicken Folianten.
Er huschte weiter, wie auf Zehenspitzen, und lauschte an der halb
offenen Tür zum Arbeitszimmer. Kein Licht. Kein Geräusch. Nichts.
Danach schlüpfte er durch die schmale Öffnung in das Büro, ohne die
Tür zu berühren. Das flaue Gefühl in seinem Magen verstärkte sich.
Egal. Jetzt war er am Ziel.
Wieder musste er einen Moment warten, bis die Augen sich an die
neuen, schlechteren Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Er fand den
Dimmer an der Wand und regulierte das Licht gerade so, dass er sich
orientieren konnte. Dann steuerte er auf den Schreibtisch zu, kramte in
seiner Jackeninnentasche und holte die kleine LED-Punktlampe hervor,
einer der Ausrüstungsgegenstände, die er in einem geheimen Fach im
Kofferraum seines Wagens aufbewahrte. Zehn Minuten später hatte er
den Schreibtisch komplett durchsucht. Ohne Erfolg. Erstaunlicherweise
war keine der Schubladen verschlossen gewesen. Wie es aussah, hatte
Benelli nichts Verdächtiges dort aufbewahrt. Andererseits …
Irgendetwas stimmte nicht, irgendetwas … fehlte.
Bens
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