Lux perpetua
erkennen konnten.
Fast den ganzen Himmel im Norden und Westen verdeckte Rauch, ein derart dichter Rauch, dass er die Erde mit Dunkelheit überzog.
Es schien, als sollten sich die Prophezeiungen der Apokalypse erfüllen.
»Und der fünfte Engel blies seine Posaune«, flüsterte Jutta, »da sah ich einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen
war; und ihm wurde der Schlüssel zum Brunnen des Abgrunds gegeben. Und er schloss den Brunnen des Abgrunds auf; da kam Rauch
aus dem Brunnen wie der Rauch eines großen Ofens, und die Sonne und die Luft wurden von dem Rauch aus dem Brunnen verfinstert
. . .
«
Veronika antwortete nicht.
Keine zwei Tage waren vergangen, als sich die Wege mit Flüchtlingen füllten. Sich in dieser Situation zurechtzufinden, bereitete
keine großen Schwierigkeiten. Es genügte, wenn man fragte.
»Die Hussiten ziehen von Norden heran«, wiederholte Veronika die von den Flüchtlingen vernommene Nachricht. »Sie brennen unterwegs
alles nieder und marschieren auf Naumburg, Jena und Gera zu; man will sie auch schon vor Altenburg gesehen haben. Es heißt,
sie seien bis nach Leipzig gezogen, dort wieder umgekehrt und nach Thüringen und ins Vogtland gezogen. Man möchte es nicht
glauben, aber es ist wohl wahr. Dieser hitzige Pfleger auf der Brücke bei Zwickau wird sichwundern, wenn sie sich von hinten an ihn heranmachen und ihn am Arsch packen.«
»Wir aber«, schloss sie, »müssen uns in dieser Lage nach Norden wenden. Nach Altenburg. Den Hussiten entgegen.« »Dann lass
uns reiten.«
»Reiten wir. Und beten wir, dass wir unterwegs auf deinen Liebsten treffen. Oder auf jemanden, der ihn kennt.«
Je weiter sie nach Norden vordrangen, umso mehr Rauchschwaden waren zu sehen. Nachts kennzeichnete der Schein des Feuers die
brennenden Dörfer und
oppida
. Je weiter sie nach Norden gelangten, umso größer wurde die Zahl der Flüchtlinge, umso mehr wuchs auch die auf den Straßen
herrschende Panik. Sie wurden Zeugen, wie andere Flüchtlinge einen beschädigten, entladenen Wagen erbarmungslos von der Straße,
die er blockierte, herunterschoben, ohne die Schreie des Fuhrmanns, das Flehen seiner Frau und das Klagen seiner Kinder zu
beachten. Es dauerte lange, bis endlich einige von denen, die als Letzte vorbeikamen, sich dazu entschlossen, ihnen ihre Hilfe
anzubieten.
Was ihr Verderben war, wie sich zeigte.
Hufgetrappel, Schreie und Pfiffe erklangen, hinter einer Anhöhe kam eine Abteilung Berittener angaloppiert. Die Reiter hatten
auf ihren Wämsern rote Kelche aufgenäht.
»Hussiten!« Veronika freute sich. »Jutta, siehst du? Das sind Huss
. . .
«
Jutta, von einer plötzlichen Vorahnung gequält, hatte sie an der Schulter gepackt und drückte diese heftig. Sie versteckten
sich mit den Pferden im Dickicht eines Kiefernwäldchens, das am Weg lag. Gerade noch rechtzeitig.
Die Reiter mit den Kelchen spornten die Pferde an und sprengten mit wildem Geschrei geradewegs auf die Flüchtlinge zu. Kaum
hatten sie sie erreicht, stachen sie mit Spießen, hieben sie mit Schwertern auf sie ein, gnadenlos, ohne jemanden zu verschonen,
der Schnee am Wege färbte sich sogleich rot.Wimmernden Verwundeten wurde der Garaus gemacht. Einen Mann, den sie in einer Wurfschlinge gefangen hatten, zerrten sie auf
der Straße hin und her. Eine von den Frauen, die sie bisher nicht angerührt hatten, warfen sie zu Boden und rissen ihr die
Kleider vom Leibe.
»Allerheiligste Jungfrau
. . .
«, flüsterte Jutta, im Kieferndickicht verborgen. »Ewige Gottesmutter
. . .
In deinen Schutz flüchten wir uns
. . .
«
Veronikas Lippen zitterten. Die Frau schrie entsetzlich.
Plötzlich erklang erneut Hufgetrappel, und hinter dem Hügel tauchte eine andere Reiterschar auf. Sie saßen, zum Entsetzen
Juttas, auf schwarzen Pferden und waren schwarz gekleidet, trugen schwarze Mäntel, schwarze Rüstungen und Helme. In vollem
Galopp stürmten sie auf die die Wagen plündernden Hussiten zu. Schwertergeklirr ertönte, wieder zitterte die Luft von Schreien.
Und plötzlich sah Jutta ihn. Sie hatte ihn von Weißkirchen her in Erinnerung, als er der Äbtissin gedroht hatte, als er sie
herumgestoßen, als er den gefesselten Reynevan geschlagen hatte. Nachdem sie auf Befehl Herzog Johanns von Münsterberg unter
Bewachung auf einen Wagen verladen worden war, hatte er einige Male zu ihr hereingesehen, sie erinnerte sich an sein grausames
Lachen. Sie erinnerte sich an die schwarzen, bis
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