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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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der Welt, denn Sie ist der Geist.
    Der Schmerz vergeht.
     
    Aus seiner Trance rissen ihn Rufe und das Schnauben von Pferden, der Boden ringsumher erbebte vom Trommeln der Hufe. Der von
     oben bis unten mit Schlamm bespritzte Reynevan drückte die Ikone an seine Brust und verzog das Gesicht. Getrocknetes Blut
     rieselte von seinen Lidern, er spuckte Blutpfropfen aus. Er versuchte aufzustehen. Es gelang ihm nicht. Er hörte Stimmen über
     sich. Er sah bärtige Gesichter, Waffen, Arme in Armschienen und Hände in Eisenhandschuhen. Die Handschuhe packten ihn, kniffen
     ihn wie Zangen, vorSchmerz wurde ihm schwarz vor Augen. Er zog sich in sich zusammen, duckte sich unter dem Griff, krümmte und streckte sich,
     jeweils auf die Übelkeit reagierend, erneut stürzte er in einen Abgrund und fiel ins Bodenlose.
    Man ließ ihn in Ruhe, er erlangte das Bewusstsein wieder. Wieder hörte er Pferde schnauben, viele Pferde. Er hörte Stimmen.
     Mit höchster Anstrengung hob er den Kopf.
    Aus dem Sattel eines schwarzen Hengstes blickte ein stattlicher, ein wenig fülliger Mann, einen Zobelkalpak auf dem Kopf und
     in einen zobelpelzverbrämten Mantel gehüllt, mit durchdringendem Blick auf ihn herab.
    Der Bischof von Krakau, Zbigniew Oleśnicki.
    »Was ist mit ihm?«
    »Sie haben ihn zusammengeschlagen, Euer Eminenz«, beeilte sich der Ritter in der kurzen, mit dem Wappen Pobóg versehenen Tunika
     zu antworten. »Gründlich zusammengeschlagen. Mit Messern verwundet. Eine Wunde an der anderen
. . .
Es ist nicht sicher, ob er das überlebt.«
    »Sie haben sich wohl beim Teilen der Beute gestritten.«
    »Wer weiß«, meinte der Ritter vom Wappen Pobóg, »vielleicht hat er ihnen auch verbieten wollen
. . .
alles zu zerstören
. . .
Als wir ihn gefunden haben, hat er die Gottesmutter an sich gepresst, wir konnten sie ihm kaum aus den Fingern winden
. . .
«
    »Warum jagt ihr nicht den anderen nach?« Zbigniew Oleśnicki richtete sich herrisch im Sattel auf.
    »Ich bin geblieben, um das wundertätige Bildnis zu bewachen
. . .
Dies ist doch ein Heiligtum
. . .
«
    »Nehmt die Verfolgung auf! Unverzüglich!«
    »Zu Befehl, Euer Eminenz!«
    Einer der Bediensteten des Bischofs ergriff die Trense des Pferdes, ein anderer hielt die Zügel fest und streckte die Hand
     aus. Oleśnicki stieg ab, bedeutete ihnen, sich zu entfernen. Dann kam er näher. Langsam. Reynevan wollte sich erheben, aber
     der verletzte Arm versagte ihm den Gehorsam. Er sank wieder ins Gras, ohne den Bischof dabei aus den Augen zu lassen.
    » Hodegetria
bedeutet auf Griechisch Führerin. Wegweiserin.« Oleśnicki sah nicht ihn an, sondern das Bild. »Ich weiß nicht, ob sie dir
     einen guten Weg gezeigt hat. Und ob sie dich inspiriert hat. Mich schon.«
    »Dieses Bildnis gilt als wahre Darstellung des Antlitzes der Gottesmutter«, fuhr er fort. »Es soll das Werk des ersten Ikonenmalers,
     des Evangelisten Lukas, sein, gemalt auf den Brettern des Tisches der Heiligen Familie. Dies verleiht ihm seine außergewöhnliche
     Schönheit und seinen großen Wert als Reliquie. Und als Symbol. Als Symbol für das Licht des Glaubens und die Kraft des Kreuzes.
     Als Symbol für die geistige Stärke eines Volkes, seine geistige Einheit und seinen Glauben. Seinen unverbrüchlichen Glauben,
     der es diesem Volk gestatten wird, jede Sintflut zu überwinden und seinen Geist auch in den schwersten Zeiten zu bewahren.
     Symbole sind wichtig. Sehr wichtig.«
    »Die Gottesmutter hat mich inspiriert. Sie hat mir den Weg gezeigt, hat mich gelehrt, was zu tun ist. Und es wird keine polnische
     Intervention in Schlesien geben. Die Unterstützung der Häretiker vonseiten Polens wird aufhören. Diese häretische Indoktrination
     wird ein Ende haben, diese ketzerischen Infektionen werden aufhören, die polnische Seele zu vergiften. Die böhmischen Hussiten
     und ihre polnischen Hintermänner werden verdammt und verflucht werden. Von allen Polen, vom König abwärts bis hinunter zum
     elendsten Bettler. Sie werden verhasst sein als Diener des Antichristen. Denn nur Diener des Antichristen und die Abgesandten
     des Teufels vergreifen sich mit ihren heiligenschänderischen Händen an einem solchen Symbol. Und verletzen es in solch unwürdiger
     Weise.«
    Der Bischof bückte sich und hob Ostrogskis Hackmesser vom Boden auf.
    »Diese Sünde nehme ich auf mein Gewissen. Für meinen Glauben und für mein Vaterland. Für den Frieden Gottes. Für die Zukunft.
Ad maiorem Dei gloriam.«
    Ohne im Geringsten

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