Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
Wahrscheinlich die letzte Fuhre, bevor es losging. Bis nach Le Plande-la-Tour waren es um die zweieinhalb Stunden und Butler von reichen Menschen waren frühmorgens sicherlich schon auf den Beinen.
»Merci«, flüsterte ich, stellte mich auf die Zehenspitzen und gab Mandolino einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Er blieb wie vom Donner gerührt stehen, als ich Serdan einholte und wir geduckt und immer darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden, hinauf zur Straße huschten.
»Mandolino hat gesagt, wir sollen als blinde Passagiere bei dem Käsemann unterkommen. Wenn ich das richtig verstanden habe«, wisperte ich, nachdem wir uns mehr schlecht als recht hinter einem kahlen Ginsterbusch versteckt hatten.
»Hab’s auch so verstanden«, entgegnete Serdan mit morgenrauer Brummbärstimme. »Also wieder was Illegales.«
»Jetzt mach dir nicht in die Hosen, das ist ein Käsewagen und kein Geldtransporter. Du klingst fast schon wie Seppo«, nörgelte ich. »Soll ich es allein durchziehen?«
»Nee.« Serdan schob ein paar Zweige beiseite, um besser sehen zu können. Ich rückte näher an ihn heran, verlor das Gleichgewicht und knallte mit dem Kopf gegen seine Schläfe.
»Aaaaah, Katz …. pass doch auf …. Musst du denn immer gleich …«
»Sorry. Müde. Hab nicht geschlafen.«
Serdan rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf, wandte seine Augen jedoch keine Sekunde vom Wagen ab. Die Männer hatten den Käse verstaut und liefen nun schwadronierend zu dem hell erleuchteten Feinkostladen zurück. Einer von ihnen musste der Fahrer sein. Ich tippte auf den Dicken. Er sah in etwa so aus, wie ich mir einen Käsemann namens Claude vorstellte.
»Meinst du, da drinnen ist noch Platz für uns?«, fragte ich Serdan, doch eigentlich hatte es keinen Zweck, darüber nachzudenken. Wir mussten es probieren, auf die Gefahr hin, erwischt zu werden und den Manouches neuen Ärger einzuhandeln, weil die Käsemänner dachten, wir gehörten zu ihnen – und wenn sie es nicht dachten und uns erkannten, hatten wir uns selbst den Ärger eingebrockt.
Ich zupfte Serdan am Ärmel und startete. Die Straße war frei, wir mussten nur schnell sein und unbemerkt in den hinteren Teil des Wagens gelangen, und das sollte zu schaffen sein, denn noch standen die Türen weit offen. Trotzdem legte ich einen kurzen Halt ein, um mich hinter dem einen Türflügel zu verbergen und einen Blick in das Käsegeschäft zu werfen. Die Männer diskutierten lautstark und rauchten dabei eine Zigarette. Auf eine bessere Gelegenheit konnten wir nicht warten.
Wie zwei Tiger beim Angriff sprangen wir in den Wagen, wollten einen Schritt nach vorne ins Innere des Lagerraums machen und verloren sofort die Balance, weil es keinen Platz zum Stehen gab, ja, nicht einmal Platz für unsere Hände und Füße. Der Boden war mit Weinkisten zugestellt, die durch unseren Aufprall verdächtig klirrten. Rechts und links von uns zogen sich breite Regalbretter mit Kisten voll Käselaiben bis hoch zur Decke, die mit unzähligen Gurten festgeschnallt waren.
Serdan und ich torkelten gefährlich und hielten uns aneinander und an den Gurten fest, um nicht gegen die Käsekisten zu krachen und alles zum Einsturz zu bringen. In unserer Not ließen wir uns nach vorne auf die Knie fallen, mitten in den Wein hinein. Erneut klirrten die Flaschen gegeneinander. Claude musste taub sein, wenn er das nicht hörte.
»Da hinten«, zischte Serdan. »Hinter den Kisten.«
Wie ein Käfer krabbelte er auf allen vieren über den Wein, der sich im hinteren Teil des Laderaums immer höher stapelte. Die Kisten waren teilweise mit Gurten aneinander und an den Wänden befestigt, doch zwischen den hintersten Türmen und der Rückwand des Laderaums befand sich eine dunkle Nische, gut abgeschirmt und groß genug für uns beide. Schon näherten sich die Schritte des Käsemanns und ich hörte, wie er sich von seinem Kollegen verabschiedete. Wenn ich mich zu sehr beeilte, würde das Klirren der Flaschen unsere Fahrt beenden, bevor sie begonnen hatte. Kurzentschlossen griff ich nach einem der Gurte, stieß mich mit den Füßen am Holzrand der Kiste vor mir ab und schwang mich in einem hohen Bogen der Nische entgegen. Serdan nahm mich bei der Hüfte, um mich im letzten Moment zu sich ins Dunkle zu ziehen.
Zwei Sekunden später schlugen die Türen zu und wir konnten nicht mal mehr die Hand vor unseren Augen erkennen. Der Motor startete. Summend sprangen die Kühlaggregate an und ein kalter Lufthauch streifte unsere
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