Lycana
nur.
Alisa und Franz Leopold tauschten Blicke. »Also doch!«, stieß Alisa hervor. »Ich dachte, meine Sinne müssten mich täuschen. Aber was hat das zu bedeuten? Wie kommt ein ehemaliger Bibliothekar der Domus Aurea von Rom hierher nach Irland?«
»Und wer waren die anderen?«, ergänzte Franz Leopold. »Jedenfalls keine Nosferas.«
Ivy schüttelte den Kopf. »Nein, das ist sicher.«
»Und was wollen sie von uns?«, stellte Alisa die wichtigste Frage.
Die drei sahen sich ratlos an.
»Was hast du noch herausgefunden?«, drängte Franz Leopold.
»Ich schwöre, ich werde euch jedes Detail berichten, an das ich mich erinnern kann, doch nicht jetzt, solange die anderen in Hörweite sind.«
Das konnten sie nicht einmal als Ausrede abwehren, denn nun versammelten sich die jungen Vampire um die beiden Lycana. Die Servienten hielten ein wenig Abstand, bildeten einen Kreis um die Gruppe und ließen ihre Blicke aufmerksam schweifen. Ainmire und Ciarán riefen die Herde zu sich und brav kamen die Tiere angetrottet.
»Endlich Blut«, seufzte Tammo und sprach den anderen damit aus der Seele. Auch wenn nicht alle das zugegeben hätten.
Als sie ihren Blutdurst gestillt hatten, entließen sie die Tiere aus ihrem Bann und machten sich auf den Rückweg zur Höhle. Sie hatten es nicht sehr eilig, genossen die Nacht und unterhielten sich. Alisa, Franz Leopold und Luciano drängten sich an Ivy, um mehr zu erfahren, doch zu ihrem Ärger heftete sich Tammo an ihre Fersen und plapperte unauf hörlich über den Vernichteten und über die Fortschritte, die er vergangene Nacht gemacht hatte.
Genervt schickte Alisa ihren Bruder weg. Nun allerdings war er beleidigt und überschüttete sie mit Vorwürfen. Alisa verdrehte gequält die Augen. Endlich ließ Tammo von ihnen ab und folgte Fernands Ruf, der irgendetwas entdeckt hatte, das ihm interessant erschien.
»Nun?«, drängte Alisa. »Berichte!« Sie war stehen geblieben und verstellte Ivy den Weg.
Ivy hielt ebenfalls inne und legte den Kopf in den Nacken. »Seht ihr den Adler dort oben? Ich frage mich bereits die ganze Zeit, was das zu bedeuten hat. Er kam, als wir auf der Weide waren, und folgt uns seitdem.«
»Lenke nicht ab«, befahl Franz Leopold, doch Alisa lehnte sich zurück und verfolgte den Schatten am Himmel, der die Sterne verdunkelte. »Ich wusste nicht, dass sie auch nachts fliegen.«
»Tun sie auch nicht«, bestätigte Ivy.
»Dann haben wir es nicht mit einem gewöhnlichen Greif zu tun«, schloss Luciano. »Könnte einer der Lycana sich in einen Adler verwandelt haben, um uns zu beobachten?«
Ivy wiegte den Kopf hin und her. »Wäre schon möglich, aber ausgesprochen unwahrscheinlich. Ich habe ein seltsames Gefühl, wenn ich ihn ansehe. So eine Ahnung von großen Veränderungen.«
»Könntest du ihn nicht zu dir rufen?«, sagte Luciano plötzlich. »Es ist ein Tier, und du bist eine Meisterin, auch Tieren, die weit entfernt von uns sind, zu befehlen.«
»Ein Adler ist etwas anderes als eine Fledermaus«, warf Alisa ein. »Hat Catriona das nicht am ersten Tag gesagt? Es ist viel schwerer, einem hoch entwickelten Tier seinen Willen aufzuzwingen!«
»Ivy kann es trotzdem«, behauptete Luciano und sah die Freundin um Zustimmung heischend an. Statt einer Antwort streckte Ivy den Arm aus. Der Adler drehte noch eine Schleife und schoss dann in steilem Sinkflug auf die vier Vampire zu.
Ein Seeadler, stellte Alisa fest, obwohl es das erste lebendige Exemplar war, das sie zu Gesicht bekam. Allerdings war sie einmal mit einigen anderen Vamalia in eine Villa an der Elbchaussee eingedrungen und hatte die Sammlung ausgestopfter Tiere des Hausherrn bewundert, unter denen sich auch ein Seeadler befand.
Ivy betrachtete das stolze Tier, das schwer auf ihrem Arm wiegen musste. »Ja, es ist ein Seeadler - und zwar ein ganz besonderer. Er heißt Tapaidh, ›der schnell wie der Pfeil fliegt‹.«
»Er hat einen Namen?«, wunderte sich Alisa.
»Ja, denn er dient Tara und kommt geradewegs von Dunluce.«
»Tara, das ist die Druidin, nicht wahr?«, vergewisserte sich Luciano. »Was will denn ihr Adler hier in dieser Gegend?«
Doch Franz Leopold hatte längst begriffen. »Das ist kein Zufall. Er wurde gesandt, um uns zu suchen!«
»Ja, und zum Glück hat er uns endlich gefunden. Wir müssen uns eilen. Folgt mir, rasch!«
Ivy reckte den Arm, um dem Adler den Start zu erleichtern. Sobald er sich in die Luft erhoben hatte, lief sie los. Die anderen rannten hinter ihr her,
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