LYING GAME - Mein Herz ist rein: Band 3 (German Edition)
lebte Sutton noch und Emma lebte in Tucson mit ihrer wiedergefundenen Zwillingsschwester den Traum eines jeden Pflegekindes. »Klar ist alles okay«, krächzte Emma. »Ich bin nur grad erst aufgewacht.«
»Dann raus aus dem Bett, du Schlafmütze«, kicherte Alex. »Ich habe schon eine Ewigkeit nichts mehr von dir gehört und wollte mal nachfragen, wie die Dinge stehen.«
»Alles bestens«, sagte Emma und zwang sich, fröhlich zu klingen. »Sogar großartig, ehrlich gesagt. Suttons Familie ist toll.«
»Ich fasse es immer noch nicht, dass du ganz plötzlich ein neues Leben bekommen hast. Du solltest bei Oprah auftreten oder so. Soll ich deine Story einreichen?«
»Nein!«, sagte Emma ein bisschen zu vehement. Sie stapfte zu Suttons großem Wandschrank, um sich ein Outfit für heute zu suchen. Außerdem bestand hier drin nicht die Chance, dass Laurel ihr Gespräch belauschte.
»Schon gut, war doch bloß ein Witz! Wie läuft es in der Schule? Magst du Suttons Freundinnen?«, fragte Alex.
Emma verharrte vor einem Top aus blauer Seide. »Ehrlich gesagt, ist die Stimmung gerade ein bisschen angespannt.«
»Wieso? Seid ihr im Doppelpack zu viel für sie?« Alex’ Stimme wurde plötzlich dumpf, und Emma vermutete, dass sie sich gerade für die Schule anzog, sich gleichzeitig die Haare bürstete und einen Zimtwecken in den Mund schob. Alex war eine Multitasking-Meisterin und hatte ständig Heißhunger auf Süßes.
»Sie sind eine eingeschworene Truppe«, sagte Emma. »Sie haben so viel zusammen erlebt, dass ich oft nicht kapiere, worum es geht.«
Alex kaute und schluckte. »Lass doch die Vergangenheit vergangen sein. Mach irgendetwas Lustiges mit ihnen und schaff neue Erinnerungen. Vielleicht sogar mal ohne Sutton.«
»Ja, vielleicht«, sagte Emma. Sie hatte bisher wirklich kaum etwas mit einem der Mädchen allein unternommen.
Drake bellte unten, und Emma hörte, wie Mrs. Mercer ihn zurechtwies. »Du, ich sollte jetzt auflegen. Ich habe Sutton versprochen, ihr vor der Schule noch bei ihren Hausaufgaben zu helfen.«
Emma legte auf, nachdem sie Alex versprochen hatte, sich von nun an häufiger zu melden. Dann wanderte sie aus Suttons Schrank und ließ sich wieder aufs Bett sinken. Ihr Kopf schmerzte. Es war ein scheußliches Gefühl, Alex anlügen zu müssen. Sie dachte an all die Nachmittage in Alex’ Zimmer, an denen die beiden Mädchen auf Pandora neue Musik entdeckt und sich gegenseitig die Zukunft vorausgesagt hatten. Sie hatten gemeinsam ein Tagebuch geführt, ein violettes Heft, in das sie alle paar Tage abwechselnd eintrugen, was passiert war. Alex hatte unter ihrem Bett ein Stück Teppich herausgeschnitten und unter dem bewahrten sie es auf. Sie hatten Geheimnisse vor der Welt gehabt – aber nie voreinander.
Emma setzte sich auf. Wenn Thayer Suttons Briefe behalten hatte, bewahrte sie seine ja vielleicht auch auf. Aber wo hatte sie sie versteckt?
Emma schwang die Beine über den Bettrand und legte sich flach auf den Boden. Zwei Schuhkartons standen unter dem Bett, aber die hatte sie schon vor Wochen durchsucht. Sie zog sie trotzdem hervor und leerte den Inhalt auf dem Bett aus. Vielleicht hatte sie ja etwas übersehen. Alte Klausuren und benotete Aufsätze fielen zusammen mit einem neongrünen Gummiband und einer abgerissenen Karte für Lady Gaga auf die Matratze. Eine Barbiepuppe, deren zerzaustes blondes Haar über ihr prächtiges Ballkleid fiel, starrte Emma mit leerem Blick an. Es war nicht E., die Puppe, die Sutton vielleicht nach Emma benannt hatte, denn die lag in einer Truhe im Schlafzimmer der Mercers. Aber Emma hatte all diesen Plunder schon längst überprüft.
Sie ging zu Suttons Kommode, öffnete nacheinander alle Schubladen und warf den Inhalt auf den Boden. Irgendetwas musste sie übersehen haben. Sie wühlte sich durch T-Shirts und Shorts und steckte die Hand in Tennissocken. Sie überflog alle Seiten der drei alten Hefte voller Schulnotizen und sortierte Lipgloss-Tuben, eine Handvoll Chandelier-Ohrringe und ein Döschen Feuchtigkeitscreme, dessen Label sofort vitalisierte Haut versprach, zurück in die Schubladen.
Nachdem sie auch die Schubladen von Suttons Schreibtisch durchsucht hatte, ließ sie sich gegen die Wand sinken und checkte alte Fotos, um sicherzustellen, dass sie die ersten x Male nichts übersehen hatte. Aber was sollte das sein? Eine Gestalt, die im Hintergrund des Tennisplatzes herumlungerte? Jemand, der ein Schild mit der Aufschrift »Ich habe deine Schwester
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