Lykandras Krieger 3 - Wolfskriegerin (German Edition)
Und die konnte er jetzt besonders brauchen.
Die Jalousien waren heruntergefahren, die Vorhänge zugezogen, sodass kein Sonnenlicht in die kleine Einzimmerwohnung drang. Auf dem Stuhl vor ihm saß die junge Frau, die sie entführt hatten, weil sie reines Blut besaß, das für Leonidas bestimmt war und ihm zu Ehren in der Opfernacht fließen sollte. Das Mädchen war gefesselt und geknebelt, ihre blonden Haare schweißnass und nackte Angst blitzte in ihren Augen. Will fühlte sich miserabel. Warum hatten sie ausgerechnet ihn beauftragt, auf die Kleine aufzupassen? War das ein Test? Wahrscheinlich. Sie mussten gemerkt haben, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Vielleicht ahnten sie, dass er seine Menschlichkeit nicht gänzlich abgestreift hatte. Wenn Will nachdachte, ängstigte ihn der Gedanke, dass dies eines Nachts, womöglich sogar ohne sein Zutun, geschehen könnte. Was würde stattdessen an ihre Stelle treten?
Tränen rannen über die Wangen des Mädchens und der Knebel saugte sie auf. Das ehemals weiße Tuch wirkte grau und aufgeweicht von ihrem Speichel. Allein der Anblick ekelte ihn an. Auch wenn er nichts mehr schmeckte, so meinte er doch, eine Vorstellung von diesem Geschmack zu haben. Und der war alles andere als angenehm.
Jetzt sah sie ihn wieder an. Mit ihren großen, ängstlichen Augen. Sie hatte Angst. Angst vor ihm. Und Angst vor dem, was sie mit ihr vorhatten, ohne dass sie ahnte, was das überhaupt war. Vielleicht war das besser so. Ihre Beine zitterten ohne Unterlass und Will konnte hören, dass ihr Herz viel zu schnell schlug. Sie tat ihm leid. Unendlich leid.
„Hast du Hunger?“, fragte er und bemühte sich, so freundlich wie möglich zu klingen. Vielleicht konnte er ihr zumindest ein wenig ihrer Angst nehmen. Sie schüttelte den Kopf, schien aber überrascht von seiner Frage.
„Du musst etwas essen, um bei Kräften zu bleiben.“ Er erhob sich, ging zu seinem Kühlschrank, der noch gefüllt war, weil er noch vor zwei Wochen ein menschliches Leben geführt hatte, und holte eine Packung mit Geflügelwienern heraus. Ein Blick auf das Haltbarkeitsdatum verriet, dass sie noch gut waren. Dann ging er zu ihr zurück, legte die Packung auf den Tisch und trat hinter sie, um den Knoten an ihrem Hinterkopf zu lösen. Der Vampir, der das Mädchen entführt hatte, hatte ihn sehr festgezogen, sodass Will Schwierigkeiten hatte, ihn aufzubekommen.
„Hör zu, es bringt nichts, zu schreien“, warnte er sie. „Der Knebel ist schneller wieder in deinem Mund, als du bis drei zählen kannst. Und danach nehme ich ihn nicht noch einmal raus, verstanden?“ Er hasste es, derart grob mit ihr zu sprechen. Aber das war im Moment die einzige Möglichkeit, ihr die Situation verständlich zu machen. „Es ist besser, wenn du mit deinen Kräften haushaltest, du wirst sie noch brauchen“, fügte er hinzu.
Das Mädchen starrte ihn schockiert an, nickte dann aber zur Bestätigung. „Was habt ihr mit mir vor?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.
Will konnte und wollte es ihr nicht sagen. Es war zu grausam. Wenn alles gut ging, würde es ohnehin nicht zum Äußersten kommen, weil der Werwolf und seine Begleiterin rechtzeitig einschreiten würden.Hoffentlich.
„Iss etwas“, sagte er und zog ein Würstchen aus der Verpackung, um es ihr vor den Mund zu halten.
„Werdet ihr mich umbringen?“, fragte sie und ihre Stimme bebte. Das konnte er nicht beantworten. Aber sie interpretierte sein Schweigen falsch und brach erneut in Tränen aus. „Oh Gott, ich will nicht sterben …“
Will zerriss es das Herz. Er fühlte sich elend. Was er hier tat, passte nicht zu ihm. Er wollte niemandem wehtun, niemanden quälen.
„Bitte lass mich gehen. Was habe ich euch denn getan? Bitte.“
Er legte das Würstchen in die Verpackung zurück und setzte sich ihr gegenüber hin. Sie zitterte vor Angst und blickte ihn aus riesigen, geweiteten Augen an. Tränen rannen in Sturzbächen über ihre Wangen. Worauf hatte er sich nur eingelassen! Das war Folter! Nicht nur für die Kleine, auch für ihn. Er wünschte, er hätte diesen verfluchten Kuss niemals bekommen. Das Vampirsein war nicht, was er erwartet hatte. Doch er hatte nicht viel Mitspracherecht, als Meutica ihn verwandelt hatte. Sie hatte es entschieden, weil er ihr Blutsklave gewesen war. Jetzt, da er immer mehr verstand, was das Vampirsein bedeutete, wurde ihm umso klarer, dass er so nicht sein wollte.
„Du wirst nicht sterben“, sagte er und war überrascht von
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