M A S H 02 - in der Heimat
bescheidenen Rest gab er für die Kinder aus. Fünf Jahre hindurch kaufte er mir jeden Monat ein Buch.
Rückblickend kann ich nicht sagen, ob Jonas Lord mehr an mich dachte als an die anderen, aber ich trieb mich öfters bei ihm herum und stellte größere Ansprüche an ihn. Er weihte mich in die Geheimnisse des Hummerfangs und Muschelpflückens ein, die manche Fischer bis heute nicht kennen. Stundenlang hockte ich in seiner Hütte, wenn er Schiffchen schnitzte und mir Geschichten vom Meer und von Crabapple Cove erzählte. Zu meiner Abschlußprüfung an der Oberschule schenkte er mir das Modell eines Schnellseglers. Während ich hier sitze und schreibe, brauche ich nur aufzublicken, um es auf meinem Kamin zu sehen.
Während ich in Port Waldo die Oberschule besuchte, kam Martha Hobbs als Lehrerin an die achtklassige Schule von Crabapple Cove. Sie tanzte gerne, und in jenen Tagen gab es, besonders während der Sommermonate, zumindest zweimal in der Woche, irgendwo Tanz. Alle wollten mit Martha tanzen. Jonas Lord saß immer in der Zwei–, Drei– oder Vier–Mann–Kapelle und spielte auf seiner Fidel. Wenn Martha tanzte, verfolgte der Elch jede ihrer Bewegungen mit seinen großen, sanften, verträumten, zwinkernden Augen.
Der Elch war der Elch, und er lebte in seiner Hütte auf der Indianerinsel, weil er dorthin gehörte. Er war ein ganz besonderer Glücksfall für die Kinder von Crabapple Cove. Daß sich jemals etwas ändern sollte, war unvorstellbar. Aber die Zeit bewirkt Veränderungen, selbst in Crabapple Cove.
Eines Tages im Mai in meinem ersten Semester am Androscoggin College erschien der Große Benjy im Studentenheim und wollte mich sprechen. Er kam mich holen, weil der Elch und Martha Hobbs am selben Abend in der Kirche von Crabapple Cove getraut wurden. Benjy war Trauzeuge, und ich sollte der Platzanweiser sein und nachher die Getränke verteilen.
Ich erinnere mich an die Hochzeit, als ob es gestern gewesen wäre. Der Altar mit den brennenden Kerzen. Mein Alter im schwarzen Anzug, den er weiß Gott wo aus der Mottenkiste gezerrt hatte. Die Gäste, von denen einige Gummistiefel trugen. Der Elch mit seinem glücklichen Lächeln, mit tellergroßen Augen seine Braut anstaunend. Martha, glücklich, stolz und überzeugt, den Mann zu haben, den sie sich gewünscht hatte.
Etwa ein Jahr darauf kam Jonas junior zur Welt. Innerhalb der nächsten zehn Jahre folgten vier weitere Kinder nach. Ich war am College und an der Universität. Dann folgten Praxisjahre, Chirurgieausbildung und das Militär. Ich kam nur selten nach Hause, aber so oft ich dort war, besuchte ich den Elch, Martha und die Kinder. Sie wohnten noch immer auf der Indianerinsel. Die ursprüngliche Hütte war um drei Räume erweitert worden. Die Kinder waren blond, aufgeweckt und gut erzogen. Sie nannten mich Onkel Hawkeye oder Dr. Hawkeye. So werde ich hier genannt, weil das einzige Buch, das der Große Benjy vor oder auch nach meiner Geburt gelesen hatte, Der letzte Mohikaner war.
Schließlich wurde ich der Brustkastenchirurg von Spruce Harbor und baute mir in der Nähe der Farm meiner Eltern ein Haus in Crabapple Cove. Ich hatte mir immer gewünscht, mich in meiner Heimat niederzulassen, aber etwas hatte ich dabei übersehen. Die Leute von Crabapple Cove führen ein gemächliches, anspruchsloses Dasein. Ich hatte mich an einen anderen Lebensstil gewöhnt. Außer mir hat es hier kein Mensch eilig. Ich winke alten Freunden geistesabwesend zu, obgleich ich nach alter Sitte eigentlich stehenbleiben und mit ihnen schwätzen sollte.
Anfangs hatte ich den Elch und Martha ab und zu besucht, aber je mehr ich zu tun bekam, desto seltener wurden meine Besuche. Im Mai letzten Jahres hatte ich schon sechs Monate nicht mehr ausführlich mit dem Elch geplaudert, obwohl ich hie und da auf der Straße an ihm vorbeifuhr und ihm winkte. Im April erwähnte der Große Benjy, daß Jonas sich nicht wohl fühlte. Ich sagte: »Dann soll er einen einheimischen Arzt aufsuchen, und wenn ihm etwas fehlt, das in mein Fach schlägt, kann er ja ins Krankenhaus rüberkommen.«
Ein paar Wochen später wurde mir ausgerichtet, ich solle Dr. Ralph Young in Port Waldo anrufen. »Hawkeye«, sagte er. »Ich möchte, daß Sie sich den Elch ansehen. Kann ich ihn gleich zu Ihnen schicken?«
»Was ist los mit ihm?«
»Er bekommt keine Luft.«
»Er soll nur kommen. Ich bin da.«
Eine Stunde später sah ich zufällig aus dem Fenster, als der Elch, Martha und Jonas junior in ihrer alten
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