Macabros 033: Flucht in den Geistersumpf
sich in
seine Arme. Sie küßte ihn, und in diesen Sekunden boten
sie das Bild eines Paares, das froh war über jeden Augenblick,
den sie gemeinsam verbringen konnten.
Hellmarks Hirn arbeitete fieberhaft.
*
Er faßte sein Gegenüber ins Auge und sagte mir harter
Stimme: »Sie sind nicht Frank Griever!«
Der untersetzte Mann blickte ihn erstaunt an. »Wie kommen Sie
denn darauf, Herr Unstett?«
»Ganz einfach. Eben hat seine Frau bei mir angerufen und mir
mitgeteilt, daß Frank Griever wegen plötzlicher Erkrankung
gar nicht zu mir kommen kann. Was bewog Sie, sich als Frank Griever
bei mir anzumelden und mein Vertrauen zu erschleichen? Ich glaube,
Sie sind mir eine Erklärung schuldig.«
»Bin ich das wirklich?« Die Worte klangen
spöttisch, und Unstett war so geladen, daß er sofort
wieder aufgebraust wäre, hätte der falsche Griever nicht
beschwichtigend beide Hände gehoben. »Vielleicht bin ich
es. Aber Sie sind es mir nicht weniger.«
»Ich?« Unstett schüttelte sich leicht und glaubte
nicht richtig gehört zu haben.
»Die Dinge liegen doch so: Sie suchen nach Beweisen für
ein Fortleben nach dem Tod, für Verbindungen in jenseitige
Welten und für das Wirken von gespenstischen Mächten, die
seit Urbeginn der Welt existieren. Für beides habe ich Beweise
geliefert. Es war meine Chance, mich bei Ihnen
einzuführen.«
»Aber warum dann unter falschem Namen?«
»Es bot sich so an, und es war am einfachsten so für
mich.«
»Und wer sind Sie wirklich?«
»Es würde zu lange dauern, es Ihnen zu erklären.
Ein Gespräch – hier mitten auf der Straße! – das
wäre doch barbarisch, finden Sie nicht auch? Außerdem
könnte es sein, daß wir ins Streiten geraten. Was
würden die Leute von uns denken? Ich wäre auf alle
Fälle nochmal auf Sie zugekommen, das dürfen Sie mir
glauben. So einfach auftauchen und wieder verschwinden – das
wäre doch ohne Sinn, nicht wahr?«
»Das allerdings.«
»Ich kenne Ihre geheimen Wünsche, Herr Unstett. Ich
beobachte und begleite Sie schon lange. Es gibt kaum einen Vortrag,
den ich mir nicht angehört hätte.«
»Aber…«
»Lassen Sie mich ruhig ausreden! Sie meinen, ich hätte
es einfacher haben können, auf Sie zuzukommen, ohne dieses
Betrugsspiel? Schon möglich. Aber es gehörte mit zu dem
Spiel. Auch Griever sollte endlich merken, daß wir nicht
länger mit uns spaßen lassen.«
»Wir? Wer ist ›wir‹?«
»Das alles werden Sie noch erfahren. Sie sind sehr
interessiert an gewissen Dingen. Zu interessiert! Das weckte unsere
Aufmerksamkeit. Wir wollen Ihnen einen Gefallen tun, Unstett: haben
Sie nicht vorhin erst wieder zu erkennen gegeben, daß Sie gerne
mal sehen möchten, wie es ›drüben‹ eigentlich
aussieht? Wie es zugeht – im Reich der Toten?«
»Ja, schon, aber…«
»Für uns gibt es kein Aber. Sie können es
kennenlernen, wenn Sie wollen… Es gibt einen Weg nach
drüben, den man beschreiten kann, ohne daß man seine
sterbliche Hülle erst abstreifen muß.«
Unstett schluckte. Er war in diesem Moment nicht fähig, eine
Bemerkung zu machen.
Der falsche Griever fuhr fort: »Sie kennen sich hier in Wien
gut aus. Sie wissen, wo in Alsergrund die Sechsschimmelgasse
ist?«
»Ich kenne sie nicht, aber es ist schließlich keine
Schwierigkeit, das herauszufinden.«
»Dann finden Sie’s mal heraus! Suchen Sie die Nummer
einundneunzig! Ein altes Haus. Darin befindet sich ein
Antiquitätenladen. Gehen Sie dorthin und fragen Sie nach Otto!
Morgen mittag um diese Zeit ist es am günstigsten. Otto wird Sie
dann dorthin begleiten, was Sie schon immer kennenlernen wollten: in
das Jenseits. Ohne Gefahr für Sie, das möchte ich nochmals
betonen.«
Unstett kam gar nicht mehr dazu, etwas auf die Ausführungen
des Untersetzten zu erwidern. Der Mann hockte sich in den Fond des
Wagens, zog die Tür zu, und schon startete der Chauffeur.
»Aber so warten Sie doch!« rief Unstett und lief dem
davonbrausenden Wagen nach. »So einfach geht das nicht! Ich
weiß doch überhaupt nicht…«
Er gab es auf, ließ resigniert die Schultern hängen und
starrte dem davoneilenden Fahrzeug nach.
Ernst und nachdenklich kehrte er in sein Hotel zurück,
stocherte unzufrieden in seinem Essen herum und brachte nur wenig von
dem ausgezeichneten Mahl über seine Lippen.
Er war innerlich derart aufgewühlt, daß er sich nicht
aufs Essen konzentrieren konnte, daß es ihm schwerfiel,
überhaupt ruhig auf seinem Platz zu sitzen.
Er ließ vor seinem geistigen Auge die
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