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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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dunkelroten, mit Raureif bedeckten Ebereschen und Hagebuttensträucher mit ihren flammenden Früchten leuchteten wie Blutstropfen oder Rubine. In |118| der klaren Luft schien alles ganz nah zu sein, die Sonne glitt über den Himmel, und die Berge schienen mit jedem Atemzug die Farbe zu wechseln, mal gefiel ihnen Gold und Honiggelb besser, mal entschieden sie sich für Ziegelrot oder Rostbraun und Messing.
    In Prag gab es nur wenige Bäume, die im Herbst ins Gelbe wechselten; wenn die Akazien von Žižkov ihr angegrautes Laub abwarfen, kamen schon die Regentage, und darauf folgte ein dreckiger und matschiger Winter. Aber hier, in Poljana, hier schien alles in Flammen aufzugehen, die Wälder, Berge und Hügel, jeder Baum und jeder Strauch, das ganze Land schien in einem Feuerwerk von Farben zu explodieren   … Auch die Nächte waren hier echt, richtig schwarz. In Prag sah man abends die Sonne nicht untergehen, sie stahl sich schon am frühen Nachmittag aus den engen Straßen und Hinterhöfen hinaus, und abends wurde es zwar dunkel, aber gleichzeitig gingen Lichter an, pausenlos liefen die Menschen durch die Straßen, und auch die Autos und Straßenbahnen blieben nicht stehen.
    Wenn sich in Poljana die Sonne schlafen legte, dann wurde es still, die Vögel hörten auf zu singen und die Menschen gingen nach Hause, auch die Schafe und die Kühe trotteten von der Weide heim, die letzten Grashalme rupften sie zwischen den Häusern, während die schwielige Hand von Paľo Jasenčák die Kirchenglocke schwang. Es wurde dunkel, und die ganze Welt löste sich in einer pechschwarzen Finsternis auf. Am Feldrand sah man den Schatten eines scheuen Rehs vorbeihuschen, von Weitem hörte man einen aufgeschreckten Hasen hoppeln oder ein Wildschwein im Maisfeld trampeln.
    In der Dorfmitte, hinter einem Steinmäuerchen mit Schindeldach, inmitten der Holz- und Blechkreuze des alten |119| Friedhofs stand die kleine Kirche aus Holz. Sie war aus mächtigen Balken gebaut, ohne einen einzigen Nagel, denn in einem Gotteshaus waren Nägel verboten. Vom Glockenturm ragte streng das griechisch-orthodoxe Kreuz mit seinen drei Querbalken in die Höhe. Das Dach war mit Schindeln gedeckt, und auf dem Fußboden lagen glatt getretene Eichenbohlen mit deutlich sichtbarer Maserung. Aus der niedrigen Türöffnung, in der sich jeder bücken musste, der eintreten wollte, strömte betörender Weihrauchduft, in der Kirche flackerten Lichter, lange schmale Kerzen, die die Poljaner unter den Ikonen anzündeten. Beim Gottesdienst sprach der Geistliche nicht, sondern er sang:
Mírom Hóspodu pomólimsja   … jedín svját, jedín Hóspod’, Isús Christós, vo slávu Bóha Otcá, amíň   …
Wir bitten im Namen des Herrn   … eine Welt, ein Gott, Jesus Christus, zu Ehren Gottes des Vaters, und die Dörfler antworteten
Hóspodi pomíluj
, Herr, erbarme dich, die brummenden Stimmen der Männer und die weinerlichen Stimmen der Weiber drängten hinaus ins Freie, sie schienen aus den Untiefen der Zeit zu stammen, als hier im heiligen Hain noch Opfergaben brannten. Andrejko hockte draußen unter dem Fenster, und die aus der Kirche klingende Dreistimmigkeit ließ ihn erbeben. Als würden dort drinnen seine Leute singen, solche dreistimmigen Lieder kannte er aus Prag, als sie damals dort angekommen waren und die ganze Welt sie schmerzte   …
    Wie hätte es auch nicht wehtun sollen, diese Landschaft am äußersten Ende der Welt zu verlassen, aus dieser rauen und duftgetränkten Gegend wegzuziehen, aus dem Land der goldenen Hänge und feuerroten Hagebutten, das mit dem erbarmungslosen Selbstgebrannten und heißem Blut getauft worden war   … Sogar die Gadsche aus Poljana, der alte Juraj, der Förster Mihalič oder Paľo Jasenčák, sie waren anders als |120| die Gadsche in Prag, auch sie waren mit den Bergen und ihren steinigen Feldern verwachsen, Ausflüchte und unnötiges Gerede lagen ihnen fern. Sie tranken bis zur Bewusstlosigkeit, und ein falsches Wort ließ sie gleich nach dem Messer greifen, aber wenn es darauf ankam, den anderen nicht im Stich zu lassen, konnte man auf sie zählen   …
    Die Männer, die jeden Morgen um vier Uhr in der Frühe auf den ersten Bus nach Snina warteten, damit sie im Vihorlat-Stahlwerk rechtzeitig an der Stechuhr stempeln konnten, warteten schweigend und ruhig, sie waren das Warten gewohnt. Am Freitagabend kehrten wieder andere Männer ins Dorf zurück, sie kamen von ihren weit entfernten Baustellen angereist, spülten die

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