Machen Sie Ihren Kopf fit für die Zukunft
die Begeisterung der Forscher und Medien ist angesichts der vielen Wechselwirkungen zwischen
Bauch und Kopf gut nachvollziehbar. Gibt es also eine graue Eminenz im Bauch, die uns völlig im Griff hat? Seien Sie beruhigt:
Der Kopf bleibt letztlich immer der Chef bei unseren bewussten Entscheidungen. Der Bauch ist sein Berater. Er teilt uns die
emotionalen Aspekte einer Entscheidung über die Bauchgefühle mit, die wir als »somatische Marker« (körperliche Erkennungszeichen)
der Gefühle wahrnehmen. Wenn Sie genauer erfahren wollen, wie das Bauchhirn, die Fachleute sprechen vom Darmhirn (Enterisches
Nervensystem, ENS), funktioniert, finden Sie die Antworten auf die wichtigsten Fragen in der folgenden Übersicht.
Das Darmhirn
1. Was ist das Darmhirn?
In die Schichten der Darmwand eingebettet liegen zwei Netze (Plexus) aus insgesamt circa 100 Millionen Nervenzellen. (Zum
Vergleich: Das Gehirn besitzt 100 Milliarden.) Alle anderen inneren Organe besitzen |79| keine eigenen Nervenzellen, sondern sind über Nervenfasern mit dem Gehirn verbunden.
2. Was kann das Darmhirn unabhängig vom Kopfhirn?
Sein Zuständigkeitsbereich ist die Verdauung. Hier kann es vieles eigenständig regeln: Aufspaltung und Durchmischung, Erkennen
und Abwehren von schädlichen Nahrungsbestandteilen. Dafür hat es eigene Sinneszellen, die Füllungsdruck, Schmerz und chemische
Substanzen im Darminhalt wahrnehmen. Leicht Verdauliches wie Kohlenhydrate zum Beispiel werden »erkannt«, schnell aufgespalten
und rasch durchgeleitet; schwer verdauliche fette Fleischspeisen müssen hin und her bewegt werden und passieren den Darm langsamer.
Spezialisierte Immunzellen erkennen im Nahrungsbrei gefährliche Bestandteile. Ihre Botenstoffe sagen den Darmnervenzellen
Bescheid, und diese lösen dann in der Technikzentrale im Hirnstamm Erbrechen oder Durchfall aus.
3. Kann das Darmhirn denken?
Das Darmhirn »denkt darüber nach«, was es mit dem Darminhalt sinnvollerweise anstellt. Das ist für Wohlbefinden und Gesundheit
sehr wichtig. Doch höhere Entscheidungen kann es nicht treffen. Solange alles normal läuft, bleiben die Aktivitäten des Darmhirns
übrigens vollständig unbewusst.
4. Wie arbeiten Darmhirn und Kopfhirn zusammen?
Von oben nach unten:
Das Darmhirn kann bei Bedarf in seiner Autonomie eingeschränkt werden. Wenn zum Beispiel eine wichtige aktuelle Aufgabe ansteht,
müssen Herz, Blutdruck, Atmung und Muskeltätigkeit im Vordergrund stehen und der Darm wird gebremst. Wenn wir wollen, können
wir sogar bewusst in die Tätigkeit des Verdauungstraktes eingreifen. Wir können den Schluck- und den Entleerungsreflex unterdrücken.
Von unten nach oben:
Aus dem Darm ist ein ständiger Datenstrom nach oben unterwegs. Drucksensoren melden, ob genug gegessen wurde |80| oder wann es Zeit ist, sich zur Toilette zu begeben, Schmerzen zeigen Entzündungen an, und chemische Fühler, beispielsweise
für den Traubenzuckergehalt der aufgenommenen Nahrung, beeinflussen den Appetit. So wird unser bewusstes Verhalten von zum
Teil unbewussten Signalen aus dem Darm gesteuert.
Lernen:
Die Verbindungen der Darmnervenzellen mit den Nervenzellen des Kopfhirns werden wie alle anderen Nervenverbindungen durch
Lernprozesse gestärkt und gefestigt. Das kann gute wie schlechte Effekte erzeugen. Regelmäßiger Stuhlgang um 6.30 Uhr und
täglicher Appetit um 12.30 Uhr beruhen genauso auf einem gelernten Kommunikationsprozess wie chronische Verstopfung (der Darm
hat gelernt, dass er wegen Dauerstress ständig schlaff zu bleiben hat) oder Schmerzen bei jeder Darmbewegung, worunter Menschen
mit Reizdarm leiden.
Biochemische Verbindungen zwischen Darmhirn und Kopfhirn:
Botenstoffe aus den Zellen der Darmwand wirken direkt vor Ort, verteilen sich über dem Blutstrom im ganzen Körper und im Gehirn.
Cholezytokinin zum Beispiel wird durch Fett und Eiweiß im Darm freigesetzt. Es aktiviert Galle und Bauchspeicheldrüse. Im
Gehirn erzeugt es das Sättigungsgefühl, und es spielt nach neusten Erkenntnissen unter bestimmten Umständen auch bei der Entstehung
von Angst- und Panikerkrankungen eine Rolle
Der Begriff »somatische Marker« (griechisch
soma
= Körper) stammt von den Emotionsforschern Hanna und António Damásio. Jede Emotion erzeugt körperliche Empfindungen, die wir
mit dem »siebten Sinn«, der Tiefensensibilität und dem Schmerzsinn, dem sogenannten somatosensorischen System wahrnehmen.
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