Machen Sie sich frei Herr Doktor!
Stimmt meine Vermutung, so werde ich nicht zögern, um mich beim Kapitän zu beschweren.«
»Um Gottes willen, beruhigen Sie sich«, sagte Sir Lancelot beschwörend. »Ich dachte bloß, daß Sie vielleicht Hilfe brauchen könnten.«
»Hilfe? Dafür habe ich einen Krankenwärter, der Mitglied der St.-John-Ambulanzbrigade ist. Wollen Sie uns jetzt bitte in Ruhe lassen, damit ich meine Untersuchung fortsetzen kann?«
»Kommen Sie nachher zu mir«, forderte Dulcie ihn liebenswürdig auf.
Die Tür schloß sich. Sir Lancelot stapfte fort. Er lehnte sich an die Reling und starrte bedrückt auf das Meer. »Sie müssen mich für verrückt halten. Für eine
Art chirurgischem Voyeur.« Eine Weile beschäftigte er sich damit, seinen Bart zu streichen. »Schmerzen in der Bauchgegend. Fieber. Puls über 95... Hm. Ich hoffe nur, daß dieser Scharlatan nicht zu vornehm ist, den Finger an die richtige Stelle zu legen.«
15
Der Dienstag wurde für den Dean ganz unerwartet zu einem Tag auf dem Land.
Um halb elf lenkte er seinen Rolls durch das schwere, von einem Wappen gekrönte Eisengitter von Widmore Park, dem riesigen Golfplatz am Südende Londons: herrlich gepflegter Rasen, untadelige Greens und eine ausgezeichnete Bar, die zum Wochenende von mehr Börsenleuten besucht wird als Throgmorton Street in der Stoßzeit.
Es war ein heller, heißer Morgen, und die Sonne schien - um mit Auberons Worten zu sprechen - wie eine Scheibe von getoastetem Käse in einem hungrigen leeren Himmel. Aber weder die Schönheit der grünen Hügel noch die alten Baumgruppen interessierten den Dean, als er auf die Tür des Klubhauses zuging. Er war irritiert, frustriert und besorgt.
Erstens hatte er seine Morgenvisiten in St. Swithin einem Stellvertreter überlassen, und obwohl seine Patienten darunter nicht leiden würden, drückte ein gewissenhafter Mensch wie er sich nicht gern vor seinen Pflichten. Zweitens war da der Fall von Mrs. Samantha Dougal, die wohl im selben Augenblick reuig in der Greek Street stand und um Freilassung gegen Kaution bat. Drittens und vor allem stand der Empfang der Königin bevor, ebenso ungeprobt wie die Weihnachtsvorstellungen des Krankenhauses zwei Tage bevor der Vorhang aufging.
»Es wäre unvorstellbar, wenn etwas mit der Königin danebenginge, überlegte der Dean und spürte kalten Schweiß im Nacken. Niemals in seinem Leben würde er den königlichen Haushalt zu sehen bekommen. Und er konnte sich lebhaft vorstellen, wie ein Kammerherr dem andern zuflüsterte: »Was ist mit diesem Lychfield los, der zu uns kommen sollte? Habe ihn noch nie gesehen.«
»Ja, wußtest du denn nicht, daß er für den schrecklichen Vorfall im Krankenhaus verantwortlich war, als Ihre Majestät im Aufzug steckenblieb und man nach dem Überfallkommando senden mußte, um sie herauszuholen.«
»Wirklich? Wie schade, daß wir die Folter abgeschafft haben.« Er schwitzte noch stärker.
»Ich suche einen Mr. Humphrey Fletcher-Boote«, sagte der Dean zu einem Klubmitglied. »Er spielt heute in einem Turnier.«
»Ich würde es in der Garderobe versuchen. Sie liegt hinter der Bildergalerie.«
»Danke.«
Der Dean fand den berühmten Strafverteidiger fast versteckt hinter einer enormen Tasche mit Golf Schlägern; er trug eine funkelnagelneue orange Hose, ein grünes Hemd und eine Schirmmütze, und sah aus wie ein Profi-Golfspieler im Fernsehen, wenn auch doppelt so dick. »Ach, da bist du ja«, begrüßte er den Dean.
»Ich kam so rasch ich konnte.«
»Tut mir leid, dich hierher zu verschleppen. Doch als ich für das Team gewählt wurde, mußte natürlich alles andere zurückstehen. Sogar die Bösewichte in Old Bailey müssen heute ohne mich auskommen,
was einige von ihnen ein paar Jährchen kosten wird.« Er starrte den Dean an. »Gehst du nachher auf die Rattenjagd?«
»Ich dachte, am Golfplatz trägt man einen Tweedanzug«, sagte der Dean beleidigt. »Hatte bereits heute morgen mit Josephine eine Auseinandersetzung über meinen Anzug.«
»Ich glaube, ich erinnere mich an ihn aus den Tagen, als wir Studenten in Cambridge waren.« Es war ursprünglich ein heller, haariger Tweedanzug gewesen, doch im Lauf der Zeit begann er unter Haarausfall zu leiden, und Josephine mußte größere Lederflecken aufsetzen, um die kahlen Stellen zu bedecken. »Gehen wir zum ersten Abschlag.«
»Aber ich sagte dir noch kein Wort von der armen Samantha Dougal«, protestierte der Dean.
»Berichte mir darüber, während wir hingehen. Wir können den
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