Macht nichts, Darling
hat nur gesagt, daß sie sich auf deinen Besuch freut, und wie schnell doch die Zeit vergeht, es schiene ihr wie gestern, daß du das kleine Mädel von nebenan warst, und so weiter. Du weißt ja, wie zerstreut sie ist.«
Sally kannte diese »Zerstreutheit« und mißtraute ihr von je. Ihrer Meinung nach war Tante Dorothy blitzgescheit. Was mochte sie wirklich denken? Eins war zum Glück sicher: Sie plauderte nie etwas aus.
Dorothy Forster, früh verwitwet und kinderlos, hatte ihren Neffen Simon großgezogen, bis er nach dem Tode seines Vaters auf eigenen Füßen stehen konnte und die Landwirtschaftliche Hochschule besuchte. In Notfällen war sie jedoch auch heute immer noch für ihn da, wie jetzt, wo sie die Lücke ausfüllte, die durch Elizabeth Grays Treulosigkeit entstanden war. Wie mußte diese plötzliche zweite Verlobung zwischen zwei Menschen, die sich sechs Jahre lang kaum gesehen hatten, auf sie wirken? Das hoffte Sally am kommenden Samstag herauszubringen.
Der Großgrundbesitz Luthens war auf den ersten Blick nicht besonders eindrucksvoll. Man sah zunächst nur eine Ansammlung von verschiedenartigen Gebäuden in einer waldigen Talmulde; aber Sally wußte, daß ringsherum viele tausend Morgen guten Weidelandes lagen, wo die unabsehbaren Herden grasten, denen Luthens seinen Reichtum verdankte. Der Wollschuppen stand dankenswerterweise etwas abseits von den eng zusammengedrängten Wohnhäusern und Baracken, und auf einem kleinen Hügel erhob sich das größte und ansehnlichste Gebäude, das erst vor einigen Jahren anstelle des ursprünglichen, nicht mehr bewohnbaren Gutshauses errichtet worden war. In diesem modernen Haus wohnte der jeweilige Verwalter. Die Überreste eines ehemals gutgehaltenen Gartens waren noch da, und mitten darin sah Sally Tante Dorothy genau so rüstig arbeiten, wie sie es vor fünfzehn Jahren getan hatte, als sie noch ihrem Bruder und Simon die Wirtschaft führte.
Sie begrüßte Sally so herzlich und ohne Umstände, als hätten sie sich erst gestern getrennt, und führte sie gleich ins Haus. Auf die Verlobung spielte sie nicht an; das war nicht ihre Art. Sie plauderte einfach drauflos wie immer.
»Wie lange haben wir uns eigentlich nicht gesehen, Sally? Richtig, drei Jahre... Da warst du in den Ferien einmal kurz zu Hause. Ich weiß noch, wie leid es mir tat, daß Simon gerade nicht da war. Du hättest bestimmt Eindruck auf ihn gemacht. Ich hab’ ihm hinterher erzählt, wie du aufgeblüht wärest; er würde den kleinen Fratz, den er immer unbarmherzig aufgezogen hatte, nicht wiedererkennen. Du hättest dich ganz charmant entwickelt.«
»Und ich bin überzeugt, daß Simon mich damals immer noch unmöglich fand.«
Tante Dorothy äußerte sich nicht über Simons damalige Meinung. Sie tranken miteinander Kaffee, und Sally gewann einen flüchtigen Eindruck von den Innenräumen des Verwalterhauses. Es war ein einfacher rechteckiger Bau mit drei Schlafzimmern, einem großen Wohnzimmer und einem winzigen Eßzimmer. Die Küche war sehr geräumig, wie auf allen Farmen üblich, und vielleicht weniger zweckmäßig als die modernen Kleinküchen, aber im Hinblick auf eine künftige Familie gerade das Richtige. Sie konnte sich vorstellen, wie die Kinder am großen Tisch saßen und Schularbeiten machten oder um den offenen Steinherd herumtobten, der neben dem modernen Elektroherd seinen Platz behauptet hatte.
Auf jeden Fall hatte Tante Dorothys Anwesenheit die Wohnung bereits in ein Zuhause verwandelt. Sally erkannte viele altvertraute Einrichtungsgegenstände wieder und bewunderte den unfehlbaren Geschmack, den Tante Dorothy bei der Neuanordnung bewiesen hatte. »Es könnte so spartanisch hier aussehen, und nun ist es richtig gemütlich... Wie hast du das nur gemacht?«
Tante Dorothy lächelte nur und beugte den weißen Kopf über ihre Häkelarbeit. »Ich habe mich verändert«, dachte Sally, »aber sie kein bißchen. Sie häkelt immer noch und ist so adrett und... oh, nicht dick, nur angenehm mollig, und ihre hübschen Hände und die klaren blauen Augen sind überhaupt nicht gealtert.« Bestimmt benutzte sie noch dieselbe Häkelnadel; Sally konnte sich nicht erinnern, Mrs. Forster je ohne eine Häkelarbeit in den weichen kleinen Händen gesehen zu haben. Diese Hände waren ihr einziger Stolz; sie trug bei groben Arbeiten stets Handschuhe, und Sally hatte früher im Spaß oft gesagt, sie häkele ja nur, um ihre hübschen Hände ins rechte Licht zu setzen. Außerdem wirkte Häkeln so nett
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