macht weiter
voran. »Gib mir deine Taschenlampe.« Diesmal schlug Fouad die Augen auf und starrte benommen ins Licht. Ungefähr in einer halben Stunde kann er sich wieder an alles erinnern. So kalkulierte Mrs. Pollifax.
»Immerhin habe ich Hafez und den Koffer«, sagte sie. Inzwischen war es ein Uhr geworden. Montag. Der Aufseher schlief bestimmt, und auf der Straße war nicht viel Verkehr zu erwarten. Aber daß Sabry seinen Beobachtungsposten vor der Burg verlassen hatte, das hielt sie für ausgeschlossen. Er war sicher überzeugt, daß sie alle drei noch in der Burg waren. Also stand jemand im Freien, wartete und lauerte...
Hafez zupfte sie am Ärmel. »Was haben Sie, Madame? Sie haben geseufzt? Und warum haben Sie sich auf die Latrine gesetzt? Ist Ihnen eine Truhe nicht lieber?«
»Wie?« Erstaunt strich sie über den alten Holzdeckel. Hafez hatte recht. Sie saß auf dem Latrinendeckel, unter dem... »Hafez!« sagte sie plötzlich. »Hafez, ich habe auf eine Eingabe gewartet, und von dir kommt sie! Denk nach, Hafez! Was ist unter mir?«
»Der Genfer See«, sagte er unsicher. »Und Steine.«
»Nein, nein, ein Ausstieg aus der Burg, Hafez!«
»Durch den Schacht?« fragte er ungläubig. »Aber, Madame, wie stellen Sie sich das vor? Er ist doch sicher unheimlich tief?«
»Ich denke an das Seil«, sagte sie. »Ich habe mich schon einmal abgeseilt, über Robins Balkon. Hoffentlich ist das Seil fest genug.«
»Natürlich, Madame, das Seil! Hier, versuchen Sie es, fühlen Sie es an. Glauben Sie, daß...«
»Wir werden den Koffer festbinden und ihn in den Schacht werfen. Dann werden wir ja sehen, was passiert. Komm, Hafez, hilf mir.«
Sie befestigten ein Seilende am eisernen Riegel des Fensterladens, das andere verknoteten sie am Griff des Koffers. Vorsichtig ließen sie die Last hinunter. Der Koffer schlug gegen die Schachtwand, bis er schließlich pendelnd am gestrafften Seil hing.
»Er ist nicht gerissen«, flüsterte Hafez aufgeregt. »Wie lang ist es denn?«
»Das weiß ich nicht. Gute zwanzig Meter wohl. Es ist ein langes Seil.« Sie hatte Bedenken. Ob es ihrem Gewicht standhielt? Sollten Sie ihr Leben wirklich einem Seil anvertrauen, das seit Monaten, ja vielleicht sogar Jahren in einer feuchten Truhe gelegen hatte?
Hafez legte ihr plötzlich die Hand auf den Arm. »Madame«, flüsterte er. Eine heftige Stimme war zu vernehmen.
»Das ist Munir«, flüsterte Hafez. »Madame, sie sind in der Burg!«
Mit Hilfe einer Leiter konnte man über die Festungsmauer klettern und so vielleicht den Ausgang erreichen. Doch wie konnte man noch eine Leiter bescha ffen, in dieser Minute?
Es blieb keine Wahl. Sie drückte Hafez das Seil in die Hand. »Du gehst voraus«, sagte sie. »Hand über Hand, und nicht zu rasch. Wenn ich es nicht schaffe, nimmst du den Koffer. Bring ihn zu Robin. Wenn du Angst bekommst, stütz dich mit den Füßen an der Mauer ab.«
»Ich habe keine Angst«, flüsterte Hafez. Dann begann er sich vorsichtig abzuseilen und verschwand in der Tiefe. Knoten und Seil hielten.
Jetzt hörte man Fouad stöhnen; dann eine Stimme: »Dummkopf! Licht weg vom Fenster!« Es war die Stimme Sabrys. Mrs. Pollifax griff in panischer Angst nach dem Seil, fühlte, wie es sich zweimal spannte, dann faßte sie einen Entschluß, sagte »Wahnsinn« und setzte mit Todesverachtung zur Höllenfahrt an...
Sie wußte nicht, was in den nächsten Sekunden geschah. Sie fühlte nur noch ihre Angst und ihre Hände, die wie Feuer brannten. Tiefer, immer tiefer - etwas wischte flügelschlagend an ihr vorbei... dann die erlösende Stimme aus dem Abgrund: »Springen Sie, Madame. Sie haben es geschafft.«
Sie ließ sich los, landete auf glitschigem Grund, und saß auch schon im Wasser. Vor ihren Augen drehte sich alles.
»Bitte, Madame, bitte beeilen Sie sich!« keuchte Hafez. Mit seinem Taschenmesser trennte er den Koffer vom Seil. »Schnell, Madame!«
Unsicher stand sie auf. Hafez drückte ihr Revolver und Messer in die Hand, packte den Koffer und stapfte durchs seichte Gewässer vollends zum Ufer. Sie folgte ihm. Unglücklicherweise hatte sie vergessen, die Schuhe auszuziehen, und so konnte sie keinen Halt finden. Wieder und wieder rutschte sie aus, stand auf, fiel. Völlig durchnäßt erreichte sie schließlich das Ufer. Dann sah sie sich noch einmal um. Schwarz und drohend stand die Burg vor ihr. Plötzlich wurde sie von einem dünnen Lichtstrahl getroffen, der aber sofort wieder verschwand. Eine wohlbekannte Stimme kam aus dem Dunkel. »Das darf doch
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