Machtlos
die Prüfung der Roten gern sehen. Oder hast du keine Erinnerung daran?
Der Rote lächelte unbestimmt. „Große Herrin der Winde, als Adjutant bin ich die Stimme des Königs und darf für ihn sprechen, doch ich treffe keine Entscheidungen für ihn. Mein König ist tot und bis sich ein neuer König den Thron der Roten erkämpft hat, herrschen die fünf Admiräle über mein Volk.“ Grimmarrs Lächeln wurde untertänig. „Ich verstehe den Sinn deines Anliegens und teile deine Beweggründe. Doch die Admiräle entsendeten mich mit dem Befehl hierher, mein Wort für die Unschuld der Roten zu geben. Dieser Befehl umschließt NICHT, innere Angelegenheiten meines Volkes preiszugeben, wozu eine Erinnerung an die Prüfung der Roten gewiss gehört. Wenn du, Hüterin von Recht, Wissen und Weisheit“ , bei diesen Worten verneigte sich Grimmarr erneut, „die Bilder der Roten sehen willst, wende dich an Tylarr, den Stellvertreter des Königs. Bis dahin muss dir mein Wort genügen.“
Damit war Jalina offensichtlich nicht zufrieden, doch sie beließ es vorerst dabei.
Dann wandte sie sich ernst an alle Drachen und erklärte: „Auch wir Goldenen haben nicht das Recht, uns von dem Verdacht auszuschließen. Selbstverständlich haben auch wir eine Prüfung abgelegt.“
Sie blickte Grimmarr noch einmal scharf an und öffnete dann ihren Geist. Victoria konnte in Jalinas Erinnerungen sehen, wie sich unzählige Goldene gleichzeitig elegant vom Boden abstießen und dann anmutig in die Lüfte erhoben. Zurück blieb der schroffe Fels einer leeren Hochebene in den Bergen.
„Ich habe mich persönlich davon überzeugt, dass keine meiner Rasse bei dieser Prüfung gefehlt hat. Außerdem möchte ich euch versichern, dass ich nichts von irgendeiner Verschwörung gegen die Gefährten weiß – weder von den Angriffen im Juli noch von dem in den letzten Tagen.“
Sie hatte ihren Geist noch immer geöffnet und jeder im Raum konnte die Wahrheit ihrer Worte erkennen.
Dann schirmte sie sich wieder ab und schaute offen in die Runde. „Abrexar war so freundlich, mir gestern ausführlich von den bedrückenden Geschehnissen zu berichten, wie er auch euch am Anfang dieser Sitzung berichtet hat.“
Sie nickte dem alten Schwarzen dankbar zu und fuhr fort: „Es gibt nur ein Gefährtenpaar und wir dürfen es nicht verlieren! Uns darf nichts entgehen. Wir müssen die Verschwörung aufdecken. Darum sehe ich es als Vorsitzende des Großen Rates als meine Pflicht an, so gründlich wie möglich zu ermitteln. Dabei bin ich auf ein paar Ungereimtheiten gestoßen, die uns der Truchsess der Schwarzen sicher erklären kann.“
In diesem Moment wusste Abrexar, dass Jalina etwas entdeckt hatte, was sie ihm ankreiden konnte. Er wappnete sich innerlich gegen das, was jetzt kam.
„Abrexar, du hast ausgesagt, dass du Victoria vom Ehrendenkmal gerettet hast.“
Er nickte.
„Leider hast du vergessen zu erwähnen, dass du nicht nur die Gefährtin in Sicherheit gebracht hast, sondern noch eine weitere Menschenfrau, die sich ebenfalls auf dem Ehrendenkmal befand.“
Wieder nickte Abrexar. Doch er sagte nichts. Kerstin weigerte sich noch immer, Lenir zuzuhören. Egal was er vor dem Großen Rat sagte, es würde die junge Frau in Gefahr bringen.
Jalina wurde ungeduldig. „Abrexar! Du bist unser Experte für Rechtsprechung in Bezug auf die Menschen. Du weißt besser als jeder andere hier, dass wir uns den Menschen nicht zeigen dürfen.“
Abrexar stellte klar: „Ich habe mich der jungen Frau nicht gezeigt. Ich habe sie lediglich unsichtbar vom Turm fortgetragen.“ Er blickte in die Runde und führte weiter aus: „Es handelt sich bei diesem Menschen um die Freundin unserer Gefährtin, die gemeinsam mit ihr verfolgt wurde. Hätte ich sie dort gelassen, so hätte sie das plötzliche Verschwinden Victorias nicht verstehen können. Somit wäre ihr ohnehin etwas Unerklärliches aufgefallen. Sie wäre zusätzlich in großer Gefahr gewesen, denn die wütenden Verfolger hätten sie angegriffen, sobald Victorias Zauber vor dem Ausgang erloschen wäre. So ist sie wenige Sekunden, nachdem wir in der Luft waren, in Ohnmacht gefallen und hielt das alles beim Aufwachen für einen schlechten Traum.“
Abrexar hoffte inständig, dass Jalina die Wahrheit seiner letzten Aussage nicht in seinem Geist überprüfen wollte.
Doch Jalina hatte ganz andere Gedanken. „Das ist doch kein Grund!“ , begehrte sie auf. „Unsere Gesetze sind eindeutig. Kein Mensch darf von uns erfahren.
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