Machtlos
Glaubst du, dass du bis zur Hochzeit mit ihnen klar kommst und deine Aufgabe als Trauzeugin ausfüllen kannst?“ Victorias Stimme verriet, dass sie keinesfalls Zweifel hatte, dass die Adeptin es schaffen würde. Sie wollte einfach wissen, ob es für sie auch ok war.
Lexia stellte ihren Milchkaffee ab und sah Victoria überrascht an. Sie hatte bei ihren Aufträgen noch nie den Eindruck gehabt, als hätte sie die Wahl. „Meint Victoria die Frage wirklich ernst?“
Victoria lachte. „Ach komm schon, Lexia, sieh mich nicht so ungläubig an! Denkst du allen Ernstes, ich möchte es meinen Freunden oder auch dir zumuten, auf Krampf bis Silvester zusammenzuarbeiten? Ich habe gesehen, wie du die Jungs beim Essen beobachtet hast und deine Augen haben dich verraten. Du findest ihre Manieren mehr als abstoßend!“
Die Adeptin war erschrocken. „Ich muss wirklich stärker auf meine Körpersprache und die Mimik achten! Das darf einer Goldenen nicht passieren.“
Victoria kicherte und nahm ihren Worten damit die Schärfe. „Meiner Mutter wäre es bei dem Geschlinge gestern wohl genau wie dir gegangen.“
Jaromir grinste. „Ich kann dir versichern, dass meine Studenten sich in der Regel nur so gehen lassen, wenn sie sich sicher und zu Hause fühlen. Und das heißt, du kommst als Mensch ziemlich authentisch rüber…“, dann sah er Victoria liebevoll an, „…und einen Raum für dich einzurichten, war die richtige Entscheidung.“
Victoria lächelte zurück. „Ja, das war es. Danke noch mal dafür!“
„Immer wieder gern, Kleines“ , erwiderte Jaromir mit leuchtenden Augen und griff zärtlich nach ihrer Hand.
Victoria grinste. „Ob ich allerdings diese Wii behalte, weiß ich noch nicht. Die Jungs wollen nichts anderes mehr – außer Essen vielleicht noch… Was ist bloß aus den guten alten Sit-ins geworden, bei denen man einfach nur gequatscht hat?“
Jaromir lachte. „Lass ihnen den Wettbewerb. Das macht junge Männer doch aus!“
„Ha!“, gab Victoria laut zurück und piekste mit ihrem Zeigefinger energisch Löcher in die Luft, „Nicht nur junge Männer. Lenir steht meinen Freunden in nichts nach! Hast du nicht gesehen, wie der die anderen immer wieder abgehängt hat?! Wie kommt es eigentlich, dass der Gute so ein Ass in diesen Videospielen ist und du so unfassbar schlecht ?“
Jaromir grinste breit und kultivierte sein Abloosen. „ Das kommt daher, dass der gute Lenni schon immer liebend gern wilde Wettkämpfe jeglicher Art ausgefochten hat und ich lieber neue Zauber oder mathematische Probleme erforscht habe. In Norwegen hatte er viel Zeit in den letzten Jahren – er konnte ja nicht weg wegen des Tores… “
Lexia beobachtete das Gespräch der Gefährten mit großem Interesse und war verwundert, wie selbstverständlich Victoria zwischen gesprochener Sprache und Gedankenrede hin- und hersprang. Es schien der Adeptin fast, als hätte Victoria sich nie anderes verständigt. „Wie innig die Verbindung zwischen den beiden ist… und wie bedauerlich, dass ich nicht alles mitbekomme – es scheint lustig zu sein.“
Plötzlich sah Victoria die Goldene entschuldigend an: „Tut mir leid, Lexia. Wie unhöflich von uns… Also, was meinst du nun wegen meiner Freunde?“
Victoria angelte sich ein Croissant aus dem Brötchenkorb und während die Goldene nach den richtigen Worten suchte, bemerkte Jaromir an Victoria gerichtet: „Dir ist schon klar, dass Lexia keinerlei Möglichkeit hat, ihren Auftrag hier abzubrechen, oder? Jalina würde das niemals dulden.“
„Das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass es ganz nett ist, wenn nicht alles, was man pflichtschuldig tut, für selbstverständlich genommen wird. Besonders, wenn man die Dinge nicht gern tut. So wie Lexia – sie brennt nicht gerade auf das nächste Treffen in J’s Studentenbutze.“
Tatsächlich spukte genau diese Verabredung in den Gedanken der Goldenen herum, als sie mit perfekt inszenierter Ehrlichkeit antwortete: „Ich finde deine Freunde sehr interessant und ich glaube, dass ich noch viel über die Menschen lernen werde – oh nein, bestimmt auch etliche Dinge, die ich lieber gar nicht wissen möchte. Mir graust es jetzt schon vor der WG und einem weiteren Essgelage!“
Doch Lexia sprach lächelnd weiter: „Wie könnte ich sie denn besser verstehen lernen als durch gemeinsame Treffen und Unterhaltungen? Deine Welt, Victoria, ist mir noch immer sehr fremd – ich begreife so vieles nicht. Ich habe fast mein ganzes Wissen aus den
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