Machtlos
also strengt euch an. Lockert die Klemmen lieber zu wenig als zu viel und sorgt vor allem dafür, dass die Abstände der Astralspenden vergrößert werden. Auch hier gilt nun: weniger ist mehr.“
Als Linea am nächsten Abend wiederkam, entfernte sie alle magischen Klemmen. Jaromir hatte Angst davor, dass die Barrieren erneut reißen würden und das fürchterliche Brennen wieder begann, doch die Membranen hielten. Sie schlossen sich nicht vollständig, aber Linea versicherte, dass sich da in den nächsten Tagen noch etwas tun könnte. Sie wertete es als gutes Zeichen, dass die Spenden nur noch alle sechs Stunden erfolgen mussten und die Zeiträume stetig weiter ausgedehnt werden konnten.
Am Samstag benötigte Victoria dann nur noch drei Spenden und am Sonntag gerade mal eine.
Victorias Eltern besuchten sie jeden Tag ausgiebig. Sie tranken gemeinsam mit Jaromir an ihrem Bett Kaffee und aßen Alberts leckeres Adventsgebäck. Die Stimmung war gelöst und voller Hoffnung. Victorias Mutter behandelte ihren Schwiegersohn nun ganz anders und ging herzlich mit ihm um. Sie hatte keinen Zweifel mehr daran, dass Jaromir ihre Tochter von ganzem Herzen liebte und sie bis ans Lebensende auf Händen tragen würde. Nie – niemals! – würde sie den abgrundtief verzweifelten Ausdruck in seinen Augen vergessen, als er sich selbst die Schuld an Victorias Koma gab und dann bewusstlos zusammengebrochen war. Manchmal fragte sie sich, ob er gestorben wäre, wenn Victoria den riskanten Eingriff nicht überlebt hätte – aber das war natürlich Unsinn.
Am Sonntagnachmittag war auch Victorias Bruder Max mitgekommen. Giesela berichtete gerade von einem Ausflug an die Elbe, als Victoria vier war. An dem Tag war das Wetter perfekt, aber leider Ebbe gewesen.
Max lachte laut und rief: „Aber das hat Victoria kein Stück gestört. Sie ist trotzdem «schwimmen» gegangen und munter durch den Schlick gerutscht. Das war ein Bild, Jaromir! Am Ende sah meine kleine Schwester wie ein Schlickungeheuer aus.“
„Na, Max“, meinte seine Mutter daraufhin, „du hast aber auch nicht viel besser ausgesehen…“
Hartmut grinste. „Und der größte Spaß war es, als wir abends unsere beiden Moddermonster auf dem Rasen mit dem Gartenschlauch saubergespritzt haben.“ Er lachte versonnen bei der Erinnerung an diesen Tag.
Die Bilder in den Köpfen von Victorias Familie waren sehr lebendig und Jaromir meinte lächelnd: „Ich gebe zu, dass ich zu gern dabei gewesen wäre.“
Plötzlich bemerkte er verwundert, dass Victoria ihr Interesse am Licht verloren hatte. Es war fast so, als wollte sie mehr von diesen Geschichten hören.
Die Abendrots ließen sich natürlich nicht lang bitten und erzählten in den nächsten Stunden eine fröhliche Anekdote nach der anderen.
Nach dem Abendessen, welches ebenfalls neben dem Krankenlager eingenommen wurde, verabschiedete sich die Familie.
Die dann eintretende Stille war Victoria gar nicht recht und so bat Jaromir Kerstin, ihre Freunde für den nächsten Vormittag einzuladen.
Victoria Freunde kamen alle. Anfangs waren die jungen Leute von ihrem Anblick geschockt. Statt ihrer langen, braunen Haare hatte sie nur kurze Stoppeln auf dem Kopf und ihre fahle Haut war noch immer ungesund gerötet. Victoria lag dort wie tot und all die piepsenden und blinkenden Geräte, an die sie angeschlossen war, machten es auch nicht besser. Aber Kerstin und Jaromir betonten, dass Victoria Fröhlichkeit um sich herum mochte.
Albert hatte ein kleines Fingerfood-Buffet aufgebaut. Der Butler war überzeugt, dass gutes Essen für gute Laune sorgte und so war es auch. Keiner konnte dem verführerischen Duft der adventlich gewürzten heißen Schokolade und der arabisch glasierten Putenspießchen widerstehen. Essen und Trinken lockerten die Stimmung, so dass schließlich gelacht und herumgewitzelt wurde.
Irgendwann bemerkte Lenir, dass J schweigsam und blass war. „Hey Kumpel“, sagte er verwundert und legte seinen Arm um J’s Schulter, „alles ok mit dir?“
J hielt seinen Becher umklammert und versuchte ein Lächeln. „Ja, schon… ich musste nur gerade an den Autounfall denken. Ich habe die Bilder in der Zeitung gesehen. Mann, der Wagen sah echt krass aus! Wenn ihr mit dem Aston Martin gefahren wärt, dann…“
Jaromir nickte ernst.
Alle waren verstummt und Betroffenheit füllte den Raum.
„Wie kommt es eigentlich, dass ihr mit dem großen Mercedes gefahren seid?“, fragte Sabine in die Stille hinein. „J erzählte,
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